Zähne zusammenbeißen und Hände falten
Valerie Riedesel, Enkelin des Widerstandskämpfers Cäsar von Hofacker, hat ein Buch über ihren Großvater und die Sippenhaft der NS-Zeit geschrieben. Dafür hat sie private Briefe und Tagebücher ausgewertet
Ihr Großvater wurde als Mann des Widerstands von den Nazis hingerichtet, ihre Mutter als Kind ins KZ verschleppt. Jetzt hat Valerie Riedesel, Freifrau zu Eisenbach, die Geschichte ihrer Familie anhand von unveröffentlichten Dokumenten neu erzählt. Hat der Glaube geholfen, zu widerstehen und durchzuhalten? Die Journalistin Ruth Lehnen sprach mit Valerie Riedesel.
Ihr Großvater Cäsar von Hofacker hat sich nach anfänglicher Nähe radikal vom Nationalsozialismus abgewandt und mit weiteren Männern das Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler geplant. Er wurde deswegen gehenkt. Was bedeutet er heute für Sie?
Ja, es gab in den dreißiger Jahren eine Nähe zum Nationalsozialismus, aber zugleich ein kritisches Hinterfragen einer politischen Entwicklung weg von Rechtsstaatlichkeit und wichtigen Werten. Adolf Hitler hat er lange Zeit von diesem kritischen Hinterfragen ausgenommen, ihn als genialen Führer gesehen und zunächst nicht für die klar erkennbaren Exzesse und Schatten des Regimes verantwortlich gemacht. Diesen Irrtum zu erkennen und dann so klar den Weg in den Widerstand zu gehen, allen Widrigkeiten zu trotzen und eine ganz gradlinige, konsequente Position zu behalten – auch später dann in der Gestapo-Haft, das finde ich sehr bewundernswert. Wirklich nahegekommen ist er mir durch seine Briefe an meine Mutter. Sie offenbaren so viel Tiefe, Anteilnahme, Glaube und eine Ernsthaftigkeit im Gespräch mit seiner 13-jährigen Tochter, gleichzeitig auch so viel Humor und Fröhlichkeit, dass ich nach dem Lesen ganz traurig bin, diesen Großvater nie erlebt zu haben.
Wie hat sich die Hinrichtung des Vaters und die Rache der Nazis an den Angehörigen auf das Leben Ihrer Mutter ausgewirkt? Sie war ja ein Jahr in Sippenhaft in Gefängnissen und KZ.
Meine Mutter hat lange und sehr intensiv unter dem Verlust des Vaters gelitten. Das Haftjahr hat meinem Empfinden nach nicht so eine große Auswirkung auf ihr Leben gehabt. Sie war ja die ganze Zeit mit der Mutter zusammen, hat zwar all ihre Nöte, Sorgen, Ängste, Verzweiflungen hautnah miterleben müssen, aber auch mittragen dürfen. Sie konnte sich über alles austauschen, sowohl mit Mutter und Bruder als auch mit den anderen Sippenhäftlingen, den Stauffenbergs und Goerdelers. Genau dieser Austausch hat meiner Tante Christa in dem Kinderheim in Bad Sachsa sehr gefehlt. Ihrem Bruder Alfred half dort die Freundschaft zu den Stauffenberg-Vettern. Und die jüngste Schwester Liselotte, die mit ihren sechs Jahren noch so gar keine Zusammenhänge verstehen konnte, fühlte sich getrennt von der Mutter vollständig verlassen und verloren.
„Zähne zusammenbeißen und Hände falten!“ hat eine Freundin Ihrer Tante Christa, damals zwölf Jahre, ins Kinderheim geschrieben. Wie wichtig war der (evangelische) Glaube, um durchhalten zu können?
Der christliche Glaube hat meine Familie und viele, viele andere Sippenhäftlinge durch die Gefangenschaft getragen und meiner Mutter geholfen, den gewaltsamen Tod des Vaters zu verarbeiten. Die Konfession spielte dabei eine untergeordnete Rolle: Stauffenbergs waren katholisch, Hofackers evangelisch, trotzdem wurden gemeinsame Andachten gefeiert. Die Verbundenheit im Glauben und die Gemeinschaft waren eine stärkende Kraft in dieser Zeit.
Warum ist bisher in der Öffentlichkeit das Thema der Angehörigen des Widerstands so wenig beachtet worden?
Zunächst hat man sich mit dem Widerstand als solchem befasst – unter unterschiedlichen Blickwinkeln, nicht nur mit den „Helden“. Auch nach dem Krieg lastete auf dem militärischen Widerstand bei vielen unausgesprochen das Stigma des Verrats. Später wurde diesen meist konservativen Widerstandskämpfern unterstellt, sie hätten kein demokratisches Regime etablieren wollen. Zu den Erlebnissen in der Sippenhaft schrieb Fey von Hassell „Niemals sich beugen“ und Isa Vermehren „Reise durch den letzten Akt“. Andere Sippenhäftlinge wie meine Mutter fühlten sich durch diese Berichte vertreten. Sie wollte das eigene Schicksal nicht in den Vordergrund stellen, schließlich habe beinahe jeder in dieser Zeit Schreckliches erlebt und sein „Packerl“ zu tragen gehabt.
Trotzdem war Ihre Mutter am Ende ihres Lebens bereit, über das Erlittene zu sprechen.
Meine Mutter hatte ihre Erlebnisse aus der Haftzeit in den achtziger Jahren für uns Kinder auf 40 Schreibmaschinenseiten zusammengefasst. Das war ein sehr bewegender, spannender und gut geschriebener Bericht – sie hatte eine besondere Gabe, mit Sprache umzugehen. Ich musste sie schon sehr überzeugen, dass sich auch andere Menschen dafür interessieren würden.
Sie haben die Tagebücher Ihrer Mutter gesucht und gefunden – auch ein Abenteuer.
Gefunden habe ich das Hafttagebuch, das sie direkt nach der Befreiung in Südtirol im Mai 1945 geschrieben hat – im KZ hatte sie sich nicht getraut, Tagebuch zu führen. In einem Pappkarton bei meinen Eltern war auch die bewegende Korrespondenz zwischen meinem Großvater und meiner Mutter aus dem Jahr 1943. Schließlich fand ich auf unserem Dachboden auf Schloss Eisenbach in Hessen ihr Tagebuch, das sie vom 1. Januar 1944 an führte – mit Unterbrechung während der Haftzeit. Meine Mutter hat dieses Tagebuch in Sütterlin geschrieben, und ich konnte es nicht lesen. Am Ende war das ein wahrer Glücksfall, denn so las sie es mir vor, erzählte, und ich konnte Fragen stellen. Zusammen sind wir in diesen Tagebüchern versunken.
Das Buch heißt „Geisterkinder“, weil die verschleppten Kinder mit niemand Kontakt aufnehmen durften und ihre Namen verschweigen mussten. Warum ist es wichtig, dass die Menschen jetzt von ihrem Schicksal erfahren?
Es ist vielleicht gar nicht speziell diese Geschichte, die erzählt werden muss, sondern es sind die vielen einzelnen Geschichten und Schicksale, die das Leben im Dritten Reich ausmachten. Die Geschichte meiner Mutter ist eine davon. Mir ist wichtig, dass der Nationalsozialismus nicht nur einfach so als Episode in die deutsche Geschichte eingeht, sondern das Bewusstsein für die Ungeheuerlichkeit des Dritten Reiches auch bei unseren Kindern und den nachfolgenden Generationen erhalten bleibt. Das kann man nicht nur mit Fakten erreichen. Wichtig sind diese einzelnen Geschichten und Facetten, die nicht nur schockieren, sondern auch berühren, ganz direkt und unmittelbar Alltag, Empfindungen, aber auch eine Geisteshaltung von Menschen, von Kindern, ausdrücken. Aus diesem Grund halte ich die Tagebücher und Briefe meiner Mutter und meiner Tante, dieser damals 14 und zwölf Jahre alten Mädchen, für ganz wichtige Zeitdokumente, die man beachten und bewahren sollte.
• Valerie Riedesel, Freifrau zu Eisenbach: „Geisterkinder. Fünf Geschwister in Himmlers Sippenhaft“; scm Hänssler-Verlag, 371 Seiten, 18,95 Euro.