Sehenswerter komödiantischer Episodenfilm von und mit Karoline Herfurth um sechs Frauen unterschiedlichen Alters, die mit ihrem Aussehen, vorgefertigten (Rollen-)Bildern und eigenen wie fremden Erwartungen hadern.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Der komödiantische Episodenfilm von Karoline Herfurth von 2020 im diesjährigen ARD-Sommerkino kreist um Frauen unterschiedlichen Alters, die mit ihrem Aussehen, vorgefertigten (Rollen-)Bildern und eigenen wie fremden Erwartungen an ihrer äußeren wie inneren Schönheit hadern.
So preist das Model Julie (Emilia Schüle) innere Stärke und Authentizität in einer Beauty-Kampagne als Schlüssel zum Erfolg an. Doch in ihrem eigenen Leben sieht es ganz anders aus. Da tut sie alles, um ihrer knallharten Agenturchefin zu gefallen.
Für die Schülerin Leyla (Dilara Aylin Ziem) ist Julie das Idol schlechthin. Dass auch die Influencerin an ihrem Aussehen zweifelt, käme der stillen Teenagerin nie in den Sinn.
Leylas Kunstlehrerin Vicky (Nora Tschirner) hält hingegen wenig von Verzicht und Opfer. Ihrer Freundin Sonja (Karoline Herfurth) redet sie hart ins Gewissen, sich nicht hinter ihrer Erschöpfung als zweifache Mutter zu verstecken.
Das sind nur zwei der Erzählstränge, die originell und vielschichtig um Selbstoptimierung und Über-Ich-Ideale kreisen. Spitzzüngige Dialoge und ein hochkarätiges Ensemble sichern dabei eine vergnügliche Allianz aus unterhaltsamem Feel-Good-Kino und gesellschaftlich relevanten Herausforderungen. Die unideologische Herangehensweise an Fragen wie die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Partnerschaft, Body-Positivity oder wie man im Alter mit den nachlassenden Energien zurechtkommt, ist für eine Mainstream-Komödie mehr als ungewöhnlich.
L A N G K R I T I K
“Wenn es einfach egaler wäre, wie wir aussehen – was würden wir alles mit der frei gewordenen Energie und Lebenszeit anfangen? Wahrscheinlich würden wir nicht unsere Träume verändern – sondern die Welt!” So heißt es am Ende von “Wunderschön”. Verstanden hat man diese Botschaft da natürlich schon lange. Schon im Vorspann werden gelackte Image-Bilder und verlogene Selbstoptimierungs-Slogans mit Aufnahmen “echter” Frauen mit Falten und Fettpolstern gegengeschnitten.
Sie stammen von den Protagonistinnen des Films, die den ohnehin nur mit Retusche erreichbaren Vorstellungen der Schönheits- und Werbeindustrie nicht genügen. Das ist flott und geschickt gemacht, wenn auch nicht unbedingt subtil. Wie die Komödie von Karoline Herfurth ihr Thema mitunter etwas überdeutlich erzählt.
In den beiden zentralen Episoden des Ensemblefilms aber, der anhand von sechs Frauenfiguren miteinander verwobene Erzählstränge aufblättert, gelingt ein origineller, kluger und vielschichtiger Zugriff auf die Themen Aussehen, Emanzipation von vorgefertigten (Rollen-)Bildern sowie einer Relativierung äußerer – und innerer – Schönheit. Ein wiederkehrendes Motiv ist dabei die Unehrlichkeit gegenüber anderen, aber mehr noch sich selbst gegenüber.
Nora Tschirner spielt die auf dem schmalen Grat zwischen Coolness und Chaos, Ironie und Idealismus balancierende Kunstlehrerin Vicky, die ihren Schülern einen kritischen Blick auf äußere Zuschreibungen und einen Perspektivwechsel hin zu inneren Werten vermitteln will. Ansonsten rempelt die ebenso emanzipierte wie bindungsscheue Pädagogin derart unverblümt und rotzig ihre Mitmenschen an, dass daraus alles andere als eine Heiligenfigur wird.
Vickys beste Freundin Sonja (Karoline Herfurth) hat vor Kurzem ihr zweites Kind bekommen. Sie und ihr Mann Milan tragen schwer an ihrem stressigen Alltag. Zudem fühlt sich Sonja in ihrem von den Schwangerschaften gezeichneten Körper unattraktiv. Die Probleme verschieben sich, als Sonja gegen Milans Widerstand beschließt, wieder arbeiten zu gehen.
Anhand dieses Erzählstrangs wird stimmig und gänzlich unideologisch davon erzählt, wie die beiden auf dem Weg zum Krankenhaus noch ein gleichberechtigtes Paar des 21. Jahrhunderts sind, beim Verlassen des Kreißsaals aber in die Rollenverteilung der 1950er-Jahre zurückgefallen sind. Der Mega-Stress durch eine fordernde Berufstätigkeit beider Elternteile und der gleichzeitigen Kinderbetreuung wird hier ebenso in Frage gestellt wie die klassische Alleinverdiener-Hausfrau-Option. Es ist also eine offene, und damit genau die richtige Herangehensweise an ein aktuelles Problem: Wie lassen sich Familie, Beruf und Partnerschaft für alle Beteiligten zufriedenstellend miteinander vereinen?
Etwas weniger Energie und Einfallsreichtum hat Herfurth offenbar auf die weiteren Erzählstränge verwandt. Zwar überzeugen auch die Figuren von Julie, Frauke, Leyla und Gabo, nicht zuletzt wegen ihrer guten Darstellerinnen Emilia Schüle, Martina Gedeck, Dilara Aylin Ziem und Melika Foroutan. Doch als Charaktere sind sie nicht allzu originell und bleiben etwas eindimensional.
Während Herfurth bei den komödiantisch angelegten Figuren sehr treffsicher ist, scheint sie bei den eher melodramatischen Charakteren ein wenig zu fremdeln. So ist die Story um das unglückliche Model Julie, das sich für den Traum vom Laufsteg mit seinen Diäten, Drogen, Medikamenten und viel Workout fast umbringt, ziemlich erwartbar. Auch die Episode um die etwa 60-jährige Frauke, die sich für ihr Leben ein bisschen Spaß, Erotik und Romantik wünscht, dafür aber den falschen Mann an ihrer Seite hat, hat man trotz Martina Gedeck und Joachim Krol so oder ähnlich schon einmal zu oft gesehen.
Interessanter ist die ruhig erzählte Episode um die wortkarge Leyla: eine Teenagerin, die so gar nicht dem Körperideal entspricht, das unter anderem ihre eigene Mutter Gabo, Leiterin von Julies Modelagentur, tagtäglich zementiert.
Trotz mancher Schwachstellen und eines allzu versöhnlichen Happy Ends hinterlässt “Wunderschön” einen stimmigen Eindruck. Die Kombination aus unterhaltsamem Feel-Good-Kino und gesellschaftlich relevanter Thematik gelingt Herfurth als Autorin, Regisseurin und Schauspielerin. Allein die minutenlange sarkastische Reaktion der von ihr gespielten Sonja auf ein konservatives Kinderbuch ist ein echtes Kabinettstückchen, ebenso wie die ironische Begeisterung, mit der Nora Tschirners Pfeifen das (vermeintliche) Hinterherpfeifen eines Mannes spiegelt.