Wolffsohn: Außerhalb Israels gibt es für Juden kein entspanntes Leben
Für jüdische Menschen gibt es nach Überzeugung des Münchner Historikers Michael Wolffsohn keine Alternative zu einem eigenen Staat. Ein „entspanntes Leben“ für sie sei außerhalb eines jüdischen Staates nicht möglich, sagte Wolffsohn am Montag im Münchner Presseclub. Jüdinnen und Juden seien in jedem Land – außer Israel – in der Minderheit und einem ständigen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Abgesehen von „zyklischen Schwankungen“ habe sich seit 3.000 Jahren nichts an der Diskriminierung von Jüdinnen und Juden in der Welt geändert.
Der Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 sei zwar ein schreckliches Einzelereignis, aber in der jüdischen Geschichte nichts Neues, sagte der in Tel Aviv geborene Wolffsohn, der von 1981 bis 2012 Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München gelehrt hatte. Eine Antwort, wie man auf den wachsenden Antisemitismus seit dem Hamas-Angriff auf Israel vom 7. Oktober reagieren könne, habe er nicht. „Aber eines weiß ich: Wie bisher können wir nicht weitermachen. Wir müssen von vorn anfangen zu denken.“
Bei der Pressekonferenz stellte die Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (Rias Bayern), Annette Seidel-Arpaci, die Zahlen zu israelbezogenem Antisemitismus in Bayern seit dem 7. Oktober 2023 vor: Im ersten halben Jahr nach dem Hamas-Massaker seien 527 Vorfälle mit Bezug zu Israel gezählt worden. Das sei eine Steigerung um 1.125 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, als 43 Vorfälle registriert wurden. Gezählt wurden in den ersten sechs Monaten nach dem Hamas-Angriff: fünf Angriffe, zwölf gezielte Sachbeschädigungen, 19 Bedrohungen, elf Massenzuschriften und 480 Fälle von verletzendem Verhalten, darunter 127 Versammlungen.
22 Prozent der Vorfälle seien dem antiisraelischen Aktivismus zuzurechnen, je vier Prozent dem islamistischen und linken Milieu. Bei einem Großteil habe man keinen bestimmten politischen Hintergrund zuordnen können, heißt es weiter. Angesichts der Vorfälle könne sie nachvollziehen, dass sich viele bayerische Jüdinnen und Juden sowie Israelis in Bayern nicht mehr wohlfühlten, sagte Seidel-Arpaci. Wer für den jüdischen Staat einstehe oder jüdische Symbole zeige, müsse mindestens mit Anfeindungen rechnen.
Viel zu lange sei der israelbezogene Antisemitismus als vermeintliche „Israelkritik“ verharmlost worden, sagte Seidel-Arpaci. Dieser zeichne sich unter anderem dadurch aus, dass das Existenzrecht Israels geleugnet, die israelische Regierung mit dem NS-Regime verglichen oder Jüdinnen und Juden vorgeworfen werde, sich mehr mit Israel verpflichtet zu fühlen als mit ihren Heimatländern. Von Zuständen wie in den USA oder Berlin sei man in Bayern aber weit entfernt.
Die israelische Generalkonsulin Talya Lador-Fresher sagte, dass für jüdische Menschen seit dem 7. Oktober nichts mehr sei, wie es war. Sie selbst habe hunderte antisemitische Briefe und Kommentare auf Social Media erhalten. Diese enthielten keine „legitime Kritik“ an Israel, sondern „puren Hass“. So etwas dürfe nicht hingenommen werden, sondern müsse zu einem öffentlichen Aufschrei in der ganzen Bevölkerung führen.
Auch der vereitelte Anschlag auf das israelische Generalkonsulat in München Anfang September sei nicht der erste Vorfall dieser Art gewesen. Im Mai etwa sei eine Flasche mit Patronen auf das Gelände des Generalkonsulats geworfen worden, sagte Lador-Fresher. (01/2913/30.09.2024)