Woher ich komme? Aus Oberhausen!

Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe sind täglich mit einer Vielzahl von Vorurteilen und Ausgrenzungen konfrontiert. Sarah Vecera erzählt von ihren Erfahrungen – zum Beispiel von der immer wiederkehrenden Frage nach ihren „Wurzeln“.

„Das Thema ist mir ein Herzensanliegen“, hat Sarah Vecera auf die Interview-Anfrage geantwortet. Vecera ist in Oberhausen geboren, arbeitet bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) und hat eine dunkle Hautfarbe. Im Gespräch mit Anke von Legat erzählt sie von ihren Erfahrungen mit verstecktem Rassismus in Deutschland.

Sie sind Deutsche und haben eine schwarze Hautfarbe. Wie möchten Sie selbst genannt werden?
Ich sage am liebsten: Ich bin Deutsche – und mein Traum wäre, dass das einfach so akzeptiert wird, ohne Nachfragen und Abgrenzungen. Aber davon sind wir weit entfernt. Für mich selbst benutze ich den Ausdruck „People (oder Person) of color“ oder „schwarze Deutsche“, wobei mit „schwarz“ vielmehr das politische schwarz als die Farbe gemeint ist.

Wo begegnen Sie Rassismus?
Ich habe das schon früh wahrgenommen, etwa in der Schule, ohne dafür Worte zu haben. Ein Beispiel: In der siebten Klasse führten wir ein Musical zum Dschungelbuch auf. Meine Rolle hatte die Lehrerin von vornherein festgelegt, ohne mich zu fragen: Ich war der Affe King Louis. Ich fand es komisch, dass meine Freundinnen ihre Rollen aussuchen konnten und ich nicht; ich fühlte mich dadurch eingeschränkt. Das war Mitte der 1990er Jahre – ich hoffe, dass es heute jemandem auffallen würde, wie rassistisch das Verhalten meiner Lehrerin war.

Erleben Sie mit Ihren Kindern heute noch Ähnliches?
Zum Teil ja. Ich erinnere mich an eine Szene in der Krabbelgruppe, als die anderen Mütter mir Komplimente für die schönen dichten Haare meiner Tochter gemacht haben. Ihre Begründung hieß: Sie sei ja kein „urdeutsches“ Baby – und sie konnten einfach nicht verstehen, dass ich diesen Begriff unangemessen empfand.
Ein weiteres Beispiel: Beim Kinderarzt werde ich häufig gefragt, welche Sprachen wir zuhause sprechen – Deutsch natürlich, denn mein Mann und ich sind Deutsche. Für die Geschichte meiner Herkunft scheint er sich mehr zu interessieren, als für die Gesundheit meiner Kinder.
Auch Kinderlieder oder Kinderbücher sind nach wie vor sehr stark weiß ausgerichtet und kennen kaum schwarze Protagonistinnen oder Protagonisten.

Wie ist Ihnen bewusst geworden, dass es sich bei solchen Erlebnissen um Alltagsrassismus wegen Ihrer Hautfarbe handelte?
Das war ein allmählicher Prozess. Am stärksten ist mir meine besondere Rolle aufgefallen, als ich nach dem Abitur einen Freiwilligendienst mit der Vereinten Evangelischen Mission in Tansania gemacht habe. Dort wollte mir tatsächlich niemand glauben, dass ich Deutsche bin. Später habe ich mich bewusst mit Rassismus und Stereotypen beschäftigt, habe dafür ein Vokabular gefunden und erkannt, dass das, was mir und anderen nicht-weißen Deutschen tagtäglich begegnet, Alltagsrassismus ist.

Wie wirkt sich das auf Ihr Leben aus?
Ich bemühe mich häufig, ein extradeutsches Auftreten an den Tag zu legen – in der Art, wie ich spreche, wie ich mich kleide, wie ich mich gebe bei einer Wohnungsbesichtigung oder in einem kirchlichen Gremium. Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, dass ich doppelt beweisen muss, dass ich wirklich deutsch und nicht fremd bin.

Können Sie noch ein Beispiel nennen?
Ich höre immer wieder die Frage: Wo kommen Sie her? Wenn ich dann sage: „Aus Oberhausen“, reicht das meinen Gesprächspartnerinnen nicht. Sie fragen weiter: Wo haben Sie Ihre Wurzeln, aus welcher Kultur kommen Sie, mögen Sie das Essen aus dem Land Ihres Vaters … alles Dinge, für die man sich bei  weißen Menschen nicht als erstes interessieren würde. Die Leute erwarten etwas Spannendes, Exotisches, eine Story, und finden es in Ordnung, immer weiter nachzubohren – einer weißen blonden Frau würden sie solche intimen Fragen wohl kaum in den ersten zwei Minuten des Kennenlernens stellen.

Wie reagieren Sie auf solche Fragen?
Das kommt auf die Umstände an, auf meine Tagesform und auf mein Gegenüber. Wenn ich zu frech reagiere, gehen bei meinem Gegenüber die Schranken runter. Das möchte ich nicht; ich will ja mit weißen Menschen ins Gespräch kommen über die ausgrenzenden Vorurteile, die hinter Alltagsrassismen stecken. Darum würde ich nicht mit einer Provokation einsteigen, nach dem Motto: Ihr seid doch alle rassistisch.

Aber es stimmt – alle deutschen Menschen weißer Hautfarbe sind von rassistischen Denkweisen geprägt?
Ja, das würde ich so unterschreiben – mich eingeschlossen. Aber ich formuliere das meistens nicht so zugespitzt, weil ich die Leute dadurch in eine Abwehrhaltung bringe, und damit erreiche ich nichts.

Dabei meinen es die Leute ja häufig sogar gut …
Ja, absolut – sie möchten Interesse signalisieren, etwas Nettes sagen, helfen. Ich glaube, ein Problem ist, dass wir in Deutschland das Wort Rassismus aufgrund unserer Geschichte immer mit absichtlich bösen Handlungen in Verbindung bringen – nach dem Motto: Rassistisch ist, wer bewusst verletzt und erniedrigt. Das ist aber gar nicht so. Rassismus ist Ausdruck eines globalen und geschichtlichen Machtgefälles, unterschiedlicher Privilegien und dadurch ein tief strukturell verankertes gesamtgesellschaftliches Problem, das weißen Menschen oft gar nicht bewusst ist.

Sie arbeiten bei der VEM, einem evangelischen Missionswerk – wie sieht es in der Kirche mit Rassismus aus?
Den gibt es natürlich auch, aber er ist häufig nett verpackt. Kirchlich geprägte Menschen haben in der Regel gelernt, sich einladend und nicht zu ausgrenzend auszudrücken. Sie wollen ja etwas Gutes tun. Trotzdem spüre ich auch hier die Ausgrenzung; zum Beispiel, wenn es in einer Runde mit überwiegend Weißen heißt: Wie schön, dass Sie hier etwas Farbe hineinbringen. Ich bin dann häufig die Quotenfrau, die alles abdecken soll: Schwarz, weiblich, jung … Darum werde ich für Fotos auch gern in die erste Reihe gestellt. Und es wird davon ausgegangen, dass ich fließend englisch spreche und musikalisch bin.

Führt es auch manchmal zu Irritationen, wenn Sie als schwarze Deutsche im kirchlichen Raum auftreten?
Das spüre ich ganz besonders dann, wenn ich meinen Talar trage – ich bin ordinierte Prädikantin der Evangelischen Kirche im Rheinland. Bei solchen Gelegenheiten wurde ich schon mehrmals ganz teilnahmsvoll gefragt, was denn meine Eltern davon hielten. Ich habe das zuerst gar nicht verstanden, bis mir dämmerte: Die Fragenden gingen selbstverständlich davon aus, dass meine Eltern muslimischen Hintergrund haben.

Was können wir denn tun, um die Situation zu verbessern?
Das Wichtigste für mich ist, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ich selbst arbeite bei der VEM unter anderem mit den jungen Erwachsenen, die sich auf Auslandsaufenthalte vorbereiten. In Seminaren versuche ich, sie zu sensibilisieren für die Klischees, die wir alle mitbringen – zum Beispiel, dass „die Afrikaner“ ein anderes Zeitverständnis haben oder grundsätzlich arm und bedürftig sind. Afrika ist ein Kontinent mit 56 Ländern. Es gibt natürlich viel Armut, aber auch eine reiche und gebildete Elite und Mittelschicht. Und ja, einige haben ein anderes Zeitverständnis, wie hier eben auch.

Was würden Sie sich von der Kirche wünschen?
Zum einen, dass sie sich offener zeigt gegenüber People of Colour, zum Beispiel, indem sie sie in ihre Leitungsgremien und Pfarrämter wählt und insgesamt für mehr Diversität in Entscheidungsfunktionen sorgt. Zum anderen, dass sie mit Partner*innen aus der weltweiten Ökumene auf Augenhöhe kommuniziert, und keine gut gemeinten neuen Abhängigkeitsverhältnisse schafft. So kann Kirche auch als Leuchtturm wirken in unserer Gesellschaft, in der Rassismus immer noch allgegenwärtig ist.