Artikel teilen:

Wo Schüler die Ähnlichkeit der Religionen begreifen

Am Anfang steht eine Zeitreise: Die Schülerinnen und Schüler ziehen ihre Schuhe aus. Zwei wie ein Beduinenpaar verkleidete „Gastgeber“ tupfen jedem „Gast“ beim Betreten des Zeltes Nardenöl auf die Hand. Die Klasse setzt sich im Kreis auf die Orientteppiche. Seit diesem Schuljahr fördert das Hessische Kultusministerium den Besuch von Schulklassen im Bibelhaus Erlebnis-Museum in Frankfurt am Main. Das Ziel ist interreligiöses Lernen.

Direktor Veit Dinkelaker begrüßt die Runde mit „Shalom“. Einige Schülerinnen und Schüler der zehnten Klasse der Beruflichen Schulen am Gradierwerk aus Bad Nauheim antworten mit „Shalom“, „Salam“, „Salam aleikum“ oder „Friede sei mit Dir“. Im Zelt erzählt Dinkelaker die Geschichte von Abraham am Anfang der Bibel: Als der alte, reiche Mann die Stimme Gottes hört, er solle sein Vaterland verlassen und in die Fremde ziehen, habe er dies ohne Widerspruch getan. „Abraham ist im Judentum, Christentum und Islam gleichermaßen das Vorbild als einer, der Gott vertraut“, sagt der Theologe. „Alle in der Bibel, mit denen Gott zu tun hat, sind irgendwann unterwegs und Migranten.“

Auch die Geschichte über die Bereitschaft Abrahams, einen Sohn zu opfern, werde in allen drei Religionen erzählt, fährt Dinkelaker fort. Im Judentum beim Versöhnungsfest, im Islam beim Opferfest und im Christentum an Karfreitag. Ein Schüler meldet sich: „Abraham soll seinen Sohn opfern, er opfert aber ein Tier.“ Der Theologe nickt: Abraham stelle seinen Glauben unter Beweis, aber Gott breche die Prüfung ab: „Gott will keine Opfer.“

Die angehenden Industriekaufleute verlassen das Zelt und versammeln sich vor einem Modell des jüdischen Tempels in Jerusalem zur Zeit Jesu. An der Wand läuft eine digitale Animation der Außen- und Innenansichten. „Der Tempelberg ist ein heiliger Ort für Juden, Muslime und Christen“, erklärt Dinkelaker. „Hier liegt ein Schlüssel für Frieden im Nahen Osten.“

Die Schülerinnen und Schüler bekommen Gegenstände ausgehändigt und müssen an Stationen im Mitmach-Museum herausfinden, was es mit ihnen auf sich hat, darunter ein Gipsgefäß, eine Gewandfibel, ein Widderhorn und eine Silbermünze. Kurze Zeit später stellen die Teams ihre Erkenntnisse vor. Das Gefäß führt zu einer Vitrine mit Keramikfunden aus Israel. Die Schüler erklären, dass gläubige Juden Milchspeisen von Fleischspeisen trennen und dafür verschiedenes Geschirr benutzen, heutzutage sogar zwei Kühlschränke.

„Einen Cheeseburger dürfen sie nicht essen, aber ein Veggieburger geht“, ergänzt der Museumsdirektor. Auch im Islam gebe es Speisevorschriften, aber nicht im Christentum: Von Jesus seien die Worte überliefert, dass nicht einen Menschen unrein mache, was in ihn hineingeht, sondern was aus ihm herauskommt, so wie böse Gedanken.

Andere Gegenstände weisen auf Phänomene, die in allen drei aus dem Nahen Osten stammenden Religionen vorkommen: Schülerteams erläutern, dass die antike Gewandfibel Gewänder verschließt, die auf Pilgerreisen getragen werden, dass Feiertage öffentlich angekündigt werden, so wie mit dem jüdischen Schofarhorn, und dass alle Religionen das Gebot kennen, mit Armen Geld zu teilen.

Alle der angehenden Industriekaufleute äußern sich anschließend lobend über den Besuch im Bibelhaus Erlebnis-Museum. Laurens fand die Geschichtenerzählung im Zelt schön. Brian nennt es „krass“, dass die Juden vor 2.000 Jahren wegen des Tempels schon Steuerzahler waren, „wie wir heute“. Ayoub und Alexander staunen, dass gläubige Juden zwei getrennte Kühlschränke benutzen. Für Philipp ist neu, dass Christen früher auch beim Läuten der Glocken ein Gebet verrichteten. Er fügt an: „Ich fand es interessant, dass es nur wenige Unterschiede zwischen den Religionen gibt.“

Junge Leute schätzten die interaktive Präsentation des Museums, erklärt im Anschluss der Museumsdirektor. Im Beduinenzelt werde selbst die lebhafteste Gruppe mucksmäuschenstill. Seit September seien in dem Programm des Kultusministeriums zum interreligiösen Lernen schon 38 Gruppen dagewesen, weitere 80 Gruppen hätten Termine gebucht. „Der interreligiöse Fokus ist im Museum angelegt“, nach Aussage Dinkelakers mit Erfolg: „Die allermeisten Schülerinnen und Schüler staunen, sind interessiert und aufmerksam.“

Auch die Bad Nauheimer Klassenlehrerin Bianca Bauß-Krämer findet die Führung gut gelungen. Das Ziel sei erreicht, die Ähnlichkeiten der Religionen aufzuzeigen. Für sie steht fest: „Ich komme wieder.“