Wo Kirche draufsteht, muss Kirche drin sein

Die Urlauberseelsorge ist an den wichtigsten Tourismus-Hotspots präsent

Zu gelebter Gastfreundschaft ermuntert die Jahreslosung 2022. In einer lockeren Serie stellen wir Beispiele vor, wie das gelingen kann. Heute: Kirche am Urlaubsort. Zum Beispiel Kühlungsborn.

Eine Fahne flattert im Wind am Strandzugang 4 in Kühlungsborn, wenn der bunt bemalte Kirchenstrandkorb besetzt ist. Mittwochs und donnerstags zwischen 12 und 14.30 Uhr ist hier während der Saison Matthias Borchert zu finden. Borchert ist Gemeindepastor in Kühlungsborn und Urlauberseelsorger. „Manchmal stehen schon Leute da, wenn ich den Strandkorb aufschließe“, erzählt er. Seit 2016 lädt die evangelische Kirche in Kühlungsborn, größtes deutsches Ostseebad, Urlauber ein nicht nur mit Kirchenkonzerten und Ausstellungen, sondern mit auf sie zugeschnittenen niederschwelligen Angeboten.

Extra Stellen an Urlauber-Hotspots

Urlauberseelsorge bieten etliche Kirchengemeinden zwischen Sylt und dem Bodensee an. An besonderen Urlauber-Hotspots stellen manche Landeskirchen extra Stellen oder Stellenanteile für Mitarbeitende im Verkündigungsdienst zur Verfügung. Manchmal beteiligen sich auch die örtliche Tourismusindustrie oder die Kommunen an den Kosten. Für die kirchliche Arbeit für Urlauber in den großen Touristengebieten im europäischen Ausland und auf Kreuzfahrtschiffen hat die Evangelische Kirche im Ausland sogar 130 Saison-Stellen eingerichtet.

In Kühlungsborn hatte die Nordkirche Borchert vor einigen Jahren eine halbe Pfarrstelle für die Urlauberseelsorge bereitgestellt, finanziert aus dem Tourismusfonds. Zwar lief Ende Juli das Projekt „Urlauberseelsorge in Kühlungsborn“ aus, doch Borchert ist froh, dass Wege gefunden wurden, dass diese Arbeit hier weitergehen kann. Unterstützt wird er dabei von Ehrenamtlichen, die von der Nordkirchenstelle „Kirche am Urlaubsort“ vorher für den Einsatz geschult werden. In diesem August gehören Christine Baumgart, Stefan Preuß, Elke Krause und Anna und Josephine Saremba für ein oder mehrere Wochen zum Team.

Doch bei aller Unterstützung – kollidieren da nicht die Anforderungen, die die Gemeindeglieder vor Ort an ihren Pastor stellen, mit den Wünschen der Touristen? Ist es wirklich nötig und angemessen, dass kirchliche Gelder, Zeit und Kraft von Mitarbeitenden auch dort eingebracht werden, wo Menschen „die schönsten Wochen des Jahres“ am Meer, in den Bergen, auf Campingplätzen oder Kreuzfahrtschiffen verbringen?

Für Matthias Borchert ist klar: Urlauberseelsorge ist keine „Luxusaufgabe“. Es ist wichtig, dass Kirche sich dort zeigt und mit haupt- und ehrenamtlicher Leidenschaft an Urlaubsorten anzutreffen ist. Für ihn ist nach wie vor als Leitspruch für seine Arbeit in der Urlauberseelsorge ein Vers aus dem Brief des Paulus an die Römer wegweisend: „Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft …“ (12, 13). „Gastfreundschaft verbinde ich mit offenen Türen und einem offenen Herzen. Zeit zu haben für den anderen, für seine Nöte.“ Und diese seien in diesem Jahr viel präsenter als die Jahre zuvor.

Als Seelsorger kann Borchert nicht trennen zwischen Ortsgemeinde und Urlaubergemeinde – er sieht es als eine Gemeinschaft, die im Sommer stark anwächst. Beides sei für ihn wichtig: Dass es eine „Kommstruktur“ gibt, also kirchliche Angebote, zu denen sich Menschen aufmachen – zur Kirche, auf den Pfarrhof. Und eine „Gehstruktur“, also Angebote, wo Kirche zu den Menschen kommt, hier so wie an den Strand. „Und das heißt für mich, auch dort hinzugehen, wo die Touristen ihren Lebensmittelpunkt haben – und das ist eben der Strand.“

An den zwei Tagen, die er dort mittags anzutreffen ist, führt er im Durchschnitt zwei bis drei längere Gespräche. Wichtig ist ihm, dass sich die Urlauber willkommen fühlen. Und darum zählt für ihn auch zur Gastfreundschaft, dass eine einladende Atmosphäre vorhanden ist, zu der auch das Angebot eines Getränks gehört. Diejenigen, die kommen, sollen spüren, dass sie hier ihre Seele entlasten können. Dann können sie sich öffnen, erzählen über Eheprobleme ebenso wie über Trauerfälle oder ganz allgemein von ihren Zukunftsängsten, so seine Erfahrungen.

Doch für ihn und sein Team gehört nicht nur zu einer gastfreundlichen Seelsorge, für die Probleme des Lebens ein offenes Ohr zu haben. Das kann auch ganz praktische Hilfe sein. So wie für Jugendliche, die nur wenig Geld haben, das Angebot, auf der Pfarrwiese ihr Zelt aufzuschlagen. Und ebenso gehört für ihn zur Gastfreundschaft dazu, dass Kirche mit viel Engagement und Fantasie auch dort ist, wo Menschen einfach nur entspannt Urlaub machen wollen, wo sie sich Erholung erhoffen, Abstand zum und ein Auftanken für den Alltag.

Darum gibt es ein viefältiges, buntes Programm, bei dem für die meisten Altersgruppen etwas dabei ist: Neben den zwanglosen Gesprächsangeboten im Strandkorb stehen auch in diesem August „Radtouren zum Sonnenuntergang“ an jedem Dienstag mit dem Urlauberseelsorger an. Das Motto: „Gemeinsam Zeit verbringen in Gottes Schöpfung – Stärkung für Leib und Seele“. Ziel sind die Kirchen der Umgebung wie Heiligendamm oder Steffenshagen, wo die Radfahrer schon brennende Kerzen für eine kurze Besinnung und Wasser gegen den Durst erwarten. Oder es gibt eine Andacht in der Natur, verbunden mit einer Einladung zu Wasser oder Wein und Käse am Strand. Mittwochs um 9 Uhr wird zur „Atempause“ am Bootshafen eingeladen – mit weitem Blick aufs Wasser und einer Überdachung bei Regen. Neben Borchert ist oft der Kühlungsborner Gitarrist Georg Wegner aus Kühlungsborn dabei, der extra ein Lied für diese Andachten geschrieben hat. Hier bekommen die Urlauber ein paar Impulse für den Tag mit auf den Weg.

Reichhaltige Angebote für die ganze Familie

Donnerstags wird gepilgert. Eingeladen wird zu einem meditativen Gang durch den Stadtwald. Und freitags kann man sich anmelden für ein einstündiges „Ge(h)spräch unter freiem Himmel“ in der Zeit zwischen 11 und 17 Uhr. Dazu kann es auch gehören, den Gesprächspartner zum Kaffee einzuladen. Eingeladen wird auch zu „Christlichem Yoga“ am Kirchenstrandkorb donnerstags von 9 bis 10 Uhr, und freitags zu dieser Zeit zu einer Taizé-Andacht. Angebote, die sich an die ganze Familie richten, gibt es dienstags bis donnerstag mit den „Strandkorbgeschichten“ um 17 Uhr. Mittwochs startet dort um 16 Uhr eine digitale Schnitzeljagd. Und freitags werden in der Pfarrscheune Urlaubsbasteleien und andere Aktionen angeboten.

Und selbstverständlich gehören zu den Angeboten auch die sonntäglichen, auch auf Urlauber ausgerichteten Gottesdienste und die regelmäßigen Kirchenkonzerte. Niedrigschwellige Angebote sollen es sein, die „Kirche am Urlaubsort“ anbietet, findet Matthias Borchert. Keiner soll abgeschreckt werden, ist dem Urlauberseelsorger wichtig. Menschen sollen erleben können, dass ihre Ferien zu wirklichen „holydays“, zu heiligen Tagen werden, wie es im Englischen heißt. „Dazu gehört auch: Wo Kirche drauf steht, muss auch Kirche drin sein“, findet er und hat damit in Kühlungsborn bisher gute Erfahrungen gemacht.