Wissenschaftlerin: Wahlerfolge von Populisten keine Ost-Frage

Politikwissenschaftlerin Reuschenbach mahnt angesichts der Landtagswahlen zu komplexeren Analysen und Debatten. Der Westen ziehe sich aus der Verantwortung und Ost-West-Debatten würden oft unter ihrem Niveau geführt.

Die Berliner Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach hat die seit Jahren wiederkehrenden Debatten über das Wahlverhalten in Ostdeutschland kritisiert. “Die Frage, wieso populistische Parteien Stimmenzuwächse haben, müssen wir für das ganze Land diskutieren”, so Reuschenbach auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Die Problemlagen seien an vielen Orten ähnlich. “Wenn die AfD in Hessen bei 18 oder NRW bei 14 Prozent steht, ist das nicht nur ein ostdeutsches Thema. Aber man kann sich im Westen bequem aus der eigenen Verantwortung ziehen, indem man auf den Osten schaut”, sagte die Forscherin der Freien Universität Berlin.

Reuschenbach rechnet nach den Landtagswahlen mit einem weiteren Rückschritt darin, wie mit- und übereinander geredet wird: “Man kann ja Bingo spielen, dass sofort das übliche ‘was stimmt nicht in Thüringen?’ kommt.” Solche Fragen – auch in den Medien – würden pauschalisieren und Stereotype verstärken. Die ostdeutschen Bundesländer seien zum Beispiel weit vorne bei Patentanmeldungen oder der Windenergie, was durch wechselseitige Vorwurfsdebatten oft unter den Tisch falle.

Die Politikwissenschaftlerin plädierte dafür, statt möglicher Ursachen in der Vergangenheit vielmehr die Dinge zu debattieren, bei denen es politische Handlungsmöglichkeiten gebe, etwa bei Veränderungen der Lohn-, Renten- und Vermögensunterschiede in Ost und West. Für die Parteien seien “Stellvertreterdebatten, zum Beispiel über vergangene Kränkungen” aber bequemer und reibungsärmer, weil sie politisch kein Geld oder konkrete Entscheidungen bräuchten: “Ich finde diese Debatten ermüdend, weil seit Jahren nichts wirklich Neues kommt und alles hundertfach in Studien, Büchern, Artikeln durchgekaut worden ist.”

Reuschenbach forderte, nicht nach “dem einen Grund” für die Wahlerfolge populistischer, in Teilen rechtsextremer Parteien zu suchen: “Es wäre ein erster Erkenntnisgewinn, wenn wir akzeptieren, dass es ganz viele Antworten gibt. Vielleicht müssen wir auch aushalten lernen, dass so etwas komplex und nicht vollständig zu beantworten ist.” Ihre Kritik: “Wir führen diese Debatte unter ihrem Niveau.”