„Wir weigern uns, Feinde zu sein“

Zehn Tage verbrachten Anne Becker und Eckhart Schätzel in der Nähe von Bethlehem. Dort halfen sie im Rahmen des „Tent of Nations“, das von palästinensischen Christen ins Leben gerufen wurde.

Eckhart Schätzel bei der Olivenernte – im Hintergrund rechts eine israelische Siedlung.
Eckhart Schätzel bei der Olivenernte – im Hintergrund rechts eine israelische Siedlung.Eckhart Schätzel

Seit Langem hören wir immer wieder von Spannungen in Israel. Wie war die Situation in der Gegend, in der Sie sich aufgehalten haben?
Anne Becker: Wir haben viel Nervosität im Land gespürt. Israel befand sich im Wahlkampf, als wir dort waren. Die Restriktionen gegen Palästinenser wurden daher verschärft.
Eckhart Schätzel: Der Berg, auf dem die Farm der Familie Nassar liegt, ist umringt von israelischen Siedlungen. Während es dort natürlich modernste Technik gibt, ist die Farm weder an die Wasserversorgung noch an das Elektrizitätsnetz angeschlossen; nachts liegt der Berg im Dunkeln, während es in den Siedlungen ringsum leuchtet. Immer wieder kommt es zu Übergriffen von israelischer Seite, bei der Pflanzen und Einrichtungen zerstört werden.

Was hält die Familie Nassar an diesem bedrohten Ort?
Schätzel: Der Berg gehört der Familie seit über 100 Jahren; das können sie mit Dokumenten nachweisen. 1991 hat der Staat Israel das Grundstück zu „Staatsland“ erklärt, was eine endgültige Enteignung befürchten lässt. Die Familie hat deshalb vor Gericht ein Verfahren angestrengt, das von Seiten des Staates immer wieder verzögert wird. Aber die Familie Nassar hat für sich entschieden, dass sie in ihrem Widerstand einen Weg der Versöhnung gehen wollen. „Wir weigern uns, Feinde zu sein“, ist ihre Selbstverpflichtung. Der Satz steht auf einem Stein am Eingang des Grundstücks, an dem alle vorbeikommen, die den Berg betreten. Für mich war das die wichtigste Botschaft meines Aufenthalts.
Becker: Die ganze Familie lebt gewaltfreien Widerstand – eine Lebenshaltung aus Gottvertrauen. Das ist sehr eindrücklich. Mit unserem Einsatz möchten wir diesen konsequenten Weg unterstützen.

Anne Becker bei der Olivenernte

Wie sah Ihr Alltag während Ihres Aufenthalts aus?
Becker: Es gibt keine Gebäude auf dem Grundstück, weil der Staat dafür keine Genehmigungen erteilt. Die Familie und die Helferinnen und Helfer, die dort zeitweise leben, führen also ein sehr einfaches Leben. Die Gäste wohnen in Höhlen oder in einfachen Wellblech-Containern. Das Wasser kommt aus Regenwasser-Zisternen, die Stromversorgung erfolgt über einen Generator und ist immer wieder unterbrochen. Unser Alltag begann um acht Uhr mit dem Frühstück, und danach wurde gearbeitet. Die Oliven werden von Hand gepflückt; das ist natürlich recht mühsam, aber man ist ja nicht allein. Schön sind die Gespräche mit anderen Helferinnen und Helfern. Gemeinsam mit uns waren zum Beispiel Volontäre aus den Niederlanden sowie Quäker aus den USA da. Die Kontakte mit ihnen waren sehr informativ und bereichernd.
Was hat Sie besonders beeindruckt?
Schätzel: Für mich war das der abendliche Austausch und die Erzählungen der Familie von ihren Erfahrungen mit dem israelischen Umfeld. Dabei wird deutlich, dass die gewaltfreie Haltung der Nassars manchmal auch israelische Soldaten beeindruckt – ein Offizier entschuldigte sich zum Beispiel, nachdem er Daouds Auto kontrolliert hatte, in dem seine Kinder schliefen.

Hat der Aufenthalt im Tent of Nations Ihre Einstellung zur Israel-Palästina-Frage verändert?
Becker: Meine Haltung Israel gegenüber ist kritischer geworden, seitdem ich vor einigen Jahren zum ersten Mal im Tent of Nations war. Aber bereits vor mehr als zehn Jahren bin ich engagierten Palästinenserinnen und Palästinensern begegnet, wie etwa dem Theologen Mitri Raheb, die mir die Augen für die Situation dort geöffnet haben. Leider habe ich auch gemerkt, dass meine veränderte Meinung hier in Deutschland von Freundinnen und Freunden nicht immer verstanden wird.
Schätzel: Ich habe den Nahost-Konflikt immer schon aufmerksam verfolgt und versucht, beide Seiten zu verstehen. Durch den Aufenthalt im „Tent of Nations“ ist er zu einem Thema meines Lebens geworden. Eine Lösung habe ich nicht; ich kann den Unfrieden und die Sehnsucht nach Versöhnung nur Gott vor die Füße legen. Aber ich bin überzeugt davon, dass es Menschen wie die Nassars braucht, damit irgendwann Frieden werden kann.

• „Tent of Nations“ – „Zelt der Nationen“

Im Jahr 1916 kaufte Daher Nassar ein Stück Land in der Nähe von Bethlehem, das damals zum Osmanischen Reich gehörte. Sein Sohn, ein christlicher Prediger, verfolgte die Vision, dort einen Lernort für das friedliche Zusammenleben verschiedener Nationen zu schaffen. Dessen Kinder führen dieses Werk weiter. 2001 wurde das „Tent of Nations“ als Zentrum für Friedensarbeit und gewaltlosen Widerstand gegründet. Die Organisation „Heimstätte Dünne“ organisiert regelmäßig Volontärs-Einsätze auf der Farm.
Informationen im Internet: www.tentofnations.com