«Wir sterben hier jeden Tag, und es kümmert niemanden»

Im Osten des Kongo verursachen Kämpfe unsägliches Leid

Die Lage der Menschen in der Demokratischen Republik Kongo wird immer kritischer. Manche fürchten, die Miliz M23 könnte die Bevölkerung aushungern. Repression kommt auch von der Regierung. Und dass die Welt kaum darauf reagiert, sorgt für Frust.

Goma (epd). Rebecca Kabugho ist in Eile. Sie hat gerade bei Freunden Kleider gesammelt. Manche haben ihr auch Geld gegeben. Nun hält sie am Straßenrand in der ostkongolesischen Provinzhauptstadt Goma Ausschau nach einem Motorradtaxi. Sie will aufs Land fahren zu den Menschen, die vor den Kämpfen zwischen der Armee und der Miliz M23 geflüchtet sind. Ihre Freunde von der Bürgerbewegung «Goma activ» warten schon dort. Sie bringen jeden Tag Brei für die Kinder in die Lager, singen und tanzen mit ihnen, damit sie auf andere Gedanken kommen.

   «Manche haben nur Moskitonetze, nicht mal eine Zeltplane», erzählt Kabugho. «Und das in der Regenzeit», ruft sie empört. Es wird kalt in der Nacht. Manche sterben an Erschöpfung. Frauen müssen am Pistenrand ohne jede Hilfe einer Hebamme gebären. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind über 262.000 Menschen vertrieben worden, seit die Kämpfe im März erneut ausgebrochen sind.

   Die Miliz M23 wird nach einem internen UN-Bericht und laut der kongolesischen Regierung von Ruanda unterstützt, was Ruanda allerdings bestreitet. Der Konflikt zwischen den beiden Nachbarländern besteht seit dem Völkermord in Ruanda 1994, wonach sich viele Täter in den Ostkongo abgesetzt hatten. Das nahm Ruanda mehrmals zum Vorwand, im Kongo einzumarschieren und dort Milizen zu unterstützen, unter anderem die Vorgänger der heutigen M23. Im Zuge von Friedensverhandlungen wurde die Gruppe mehrfach in die kongolesische Armee integriert, spaltete sich jedoch immer wieder ab. Jetzt fordert sie erneut, in die kongolesische Armee einzutreten und hochrangige Posten zu bekommen.

   Ein Großteil der Bevölkerung ist überzeugt, dass es der Miliz um die Macht über die reichen Rohstoffvorkommen in der Region geht. Schon die belgischen Kolonialherren haben Land und Menschen ausgebeutet, später sind die Nachbarn Uganda und Ruanda einmarschiert.

   Aufgrund dieser Geschichte sitzt das Misstrauen gegen Fremde in der kongolesischen Gesellschaft tief. Es trifft auch Hilfsorganisationen und die UN-Friedenstruppe Monusco. Anfang November haben aufgebrachte junge Männer einen Konvoi der Monusco angegriffen und einen Lastwagen verbrannt. Sie waren überzeugt, die Blauhelme würden Kämpfer der M23 nach Goma schmuggeln. Vor wenigen Tagen warfen Flüchtlinge Steine nach UN-Soldaten, als diese in der Nähe der Lager Patrouille fuhren.

   Die Feindseligkeit interpretiert Aktivistin Kabugho als Ausdruck von Frust darüber, dass es den Menschen im Ostkongo immer schlechter gehe und die Weltgemeinschaft darüber hinwegsehe. «Als die Ukraine überfallen wurde, ist der Westen zu Recht sofort zur Hilfe geeilt, hat Flüchtlinge aufgenommen und Solidarität bewiesen, aber wir sterben hier jeden Tag, und es kümmert niemanden.»

   Vor dem Sterben hat auch Zola Kitandala Lulonga Angst. Er ist Lehrer in Goma und stöhnt über die hohen Preise für Mehl, Palmöl, Tomaten und Holzkohle, die die meisten Leute im Kongo zum Kochen brauchen. Seit die M23 mehrere Ortschaften vor der Stadt Goma eingenommen hat und eine wichtige Zufahrtsstraße blockiert, ziehen die Preise an. So gibt es für umgerechnet 50 US-Cent nur noch drei statt fünf Tomaten. «Wir werden verhungern», fürchtet Lulonga.

   Sicherheitsexperten in Goma sind sich uneinig, ob die M23 die Stadt einnehmen will, so wie es der Miliz 2012 gelungen ist, oder ob sie Goma abriegeln will, um die Bevölkerung mürbe zu machen. Einige Hilfsorganisationen evakuieren vorsorglich ihre ausländischen Angestellten. Manche europäische Botschaften raten ihren Landsleuten, das Haus in Goma nicht zu verlassen.

   Doch auch Zuhause kann es für Einheimische und Ausländer ungemütlich werden. Geheimdienst, Polizei und Militär durchsuchen systematisch Wohnungen nach Waffen oder angeblichen Spionen der M23. Wer nur die leiseste Kritik an der Regierung oder an der Armee übt, ist schon verdächtig. Die kongolesische Presseunion droht Journalisten sogar in vorauseilendem Gehorsam, allen, die «unpatriotisch» berichten, werde der Presseausweis entzogen.

   Auch die Regierung spielt die Patriotismus-Karte. «Alle» müssten jetzt das Land verteidigen, erklärte Präsident Felix Thsisekedi in einer Ansprache. 3.000 junge Männer sind seither im Osten des Landes freiwillig der Armee beigetreten. Es wird befürchtet, dass sie als «Kanonenfutter» enden.

   Die ostafrikanische Staatengemeinschaft EAC ist dabei, Truppen in den Kongo zu schicken. Erste Soldaten aus Kenia sind bereits eingetroffen. Die EAC fordert aber gleichzeitig zu Gesprächen auf. Seit April verhandelt die kongolesische Regierung in der kenianischen Hauptstadt Nairobi mit zahlreichen bewaffneten Gruppen, die den
Ostkongo unsicher machen. Am Montag sollen die Gespräche weitergehen. Ob die M23 dabei ist, ist fraglich. Bisher weigert sich die Regierung, mit der Miliz zu reden.