“Wir sind Stimmungsaufheller auf zwei Beinen”

Sie singen die schlechten Gefühle einfach weg. „Hello again, du ich möchte dich heut’ noch sehen“. Im Halbkreis sitzend stimmen die Frauen und Männer den Hit von Howard Carpendale an – noch klingt es etwas verhalten. Udo Schäfer begleitet auf seiner Gitarre, Moderatorin Christine Hewer projiziert den Text an die Wand. „Zu schnell, wir wollen nicht holpern“, dirigiert sie. Offenes Singen im Gemeindezentrum der protestantischen Lukaskirche in Ludwigshafen-Süd: Einmal im Monat dienstags kommen Menschen dort zusammen, um in Zeiten von Krisen und Krieg gegen den Frust anzusingen.

„Wir sind Stimmungsaufheller auf zwei Beinen“, sagt die ehemalige Schulleiterin Hewer. Gemeinsam mit Udo Schäfer organisiert sie das gemeinsame Singen. Ziel sei es, der sich in der Gesellschaft ausbreitenden Negativ-Stimmung etwas entgegenzusetzen. Rund eineinhalb Stunden wird gesungen – vor allem Oldies und Schlager der sechziger, siebziger und achtziger Jahre. Kommen kann wer will, es geht um den Spaß, nicht um musikalische Höchstleistungen. 15 Frauen – und nur zwei Männer – schauen an diesem Novemberabend vorbei, danach geht es auf ein Glas in die Kneipe.

„Singen tut gut“, weiß der Initiator Udo Schäfer. Während eines Reha-Aufenthaltes machte der ehemalige Lehrer in einer offenen Gesangsgruppe mit schwer kranken Patientinnen und Patienten mit. „Wir haben uns den Frust von der Leber gesungen“, sagt er. Schäfer, der früher in einer Band spielte, initiierte daraufhin in seiner Kirchengemeinde das Mutmachsingen. Gerade bei der Altersgruppe 60 plus kommt das Angebot gut an: Rund 20 Sängerinnen und Sänger aus der Region Ludwigshafen, aber auch aus der Schwesterstadt Mannheim sind jeweils dabei. Gut finden es viele, dass es sich dabei eben nicht um einen festen Chor mit verbindlichen Proben handelt.

Auch Gaby aus einer Ludwigshafener katholischen Kirchengemeinde ist diesmal dabei. „Zusammenzukommen mit anderen ist ganz wichtig“, sagt sie. Wie die meisten hat sie über „Mund-zu-Mundpropaganda“ von dem Gesangstreff erfahren. Musik wird eingespielt, ein Schlager von Marianne Rosenberg. Udo Schäfer unterstützt mit der Gitarre. Eine Frau schaukelt verzückt auf ihrem Stuhl, singt innerlich mit. Der Gesang der anderen schwillt an. „Wir werden immer besser“, lobt Christine Hewer.

Bekannt sind die Melodien von Abba, Smokie oder den Bee Gees, die positiven Botschaften der Texte gehen zu Herzen. Gesungen wird auf Deutsch und auch auf Englisch. Udo Schäfer übersetzt Songpassagen, gibt Gedankenanstöße. „Du hilfst mir auf, damit ich auf Bergen stehen kann“, heißt es in dem Song „You Rise Me Up“.

Uli aus Mannheim ist begeistert, gerne hätte er nächstes Mal einen französischen Chanson im Programm. „Meine Frau hat mich ‘gecastet’, ich singe gerne zu Hause“, scherzt er. „Mehr die Leute als das Singen“ hätten ihn dazu motiviert, gemeinsam mit seiner Frau über die Rheinbrücke zum Singen zu fahren.

„Hinterm Horizont immer weiter“ – wohlig tauchen die Frauen und Männer in das Lied von Udo Lindenberg ein. „Zusammen sind wir stark!“ Weiter geht es mit den „Scorpions“, der Mauerfall-Hymne „Wind of Change“. Man dürfe die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht aufgeben, trotz des blutigen Krieges in der Ukraine, betont Christine Hewer.

„Bes zom nächste Mol“ heißt es schließlich mit einem „kölsche Lied“ von den „Bläck Föös“. „Singen befreit in schweren Zeiten“, sagt Gaby aus Limburgerhof, die mit ihren Freundinnen Annette und Christiane regelmäßig zum offenen Singen nach Ludwigshafen kommt. „Man kann seine Sorgen vergessen.“