“Wir sind da, wenn andere es nicht sind”
21 Jahre hat Barbara Ziegler als Geschäftsführerin die Geschicke der Bahnhofsmissionen in Niedersachsen und Bremen begleitet und diese beraten. Am Freitag wird die 66-Jährige mit einem Gottesdienst in der Marktkirche in Hannover in den Ruhestand verabschiedet. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach Ziegler über die Bedürfnisse und Nöte von Reisenden und Menschen, für die der Bahnhof unfreiwillig zum Lebensmittelpunkt geworden ist.
epd: Frau Ziegler, wie viele Bahnhofsmissionen gibt es in Niedersachsen und Bremen und warum sind sie wichtig für die Menschen?
Barbara Ziegler: Es gibt aktuell 14 Bahnhofsmissionen in Niedersachsen und eine in Bremen, bundesweit sind es über 100. Unsere Mitarbeitende sind wahre Multitalente. Sie kennen sich im Sozialgefüge der Städte aus und kümmern sich im Grunde um alles, sowohl um Reisende als auch die Menschen, die eher mit sich beschäftigt sind und damit, ihren Alltag zu bewältigen. Alle können zu uns kommen, unsere Mitarbeitenden sind in ihren blauen Westen auch im Bahnhof unterwegs und jederzeit ansprechbar.
Wir bieten Umstiegshilfen, begleiten Reisende auf die Bahnsteige, kümmern uns um alleinreisende Kinder, um Menschen, die kein Deutsch können, ihren Koffer verloren haben, die nicht weiterwissen. Die Bandbreite ist so groß, wie das menschliche Leben. Sie wollen ihr Kind in Ruhe stillen, benötigen einen Knopf oder gleich eine ganze Hose, einen heißen Tee oder einfach nur ein offenes Ohr? In der Bahnhofsmission helfen wir – unbürokratisch, niederschwellig, kreativ. Wir vermitteln passende Hilfsangebote an Menschen in Not. Und wer ein entsprechendes Schreiben einer Sozialbehörde zur Refinanzierung vorlegt, dem kaufen wir sogar eine Fahrkarte.
epd: Die Welt verändert sich. Werden Bahnhofsmissionen auch künftig wichtig sein? Welche Herausforderungen sehen Sie?
Ziegler: Ich denke, dass Bahnhofsmissionen eher wichtiger werden, als dass die Gesellschaft auf sie verzichten kann. Der Service der Bahn nimmt immer mehr ab, die Menschen werden älter, psychische Probleme und Armut nehmen zu. Dazu kommt die Stärke von Bahnhofsmissionen, mit ihren bewährten Strukturen auf Krisen effektiv reagieren zu können.
Denken Sie nur an die Fluchtbewegungen nach den Weltkriegen oder um 2015, den Mauerfall oder den Krieg in der Ukraine. Die Bahnhofsmissionen sind Profis darin, auf unterschiedlichste Probleme schnell zu reagieren und Notversorgungen zu organisieren. Eine Herausforderung sehe ich darin, dass der Ton in der Gesellschaft derber und rauer geworden ist und Gewaltbereitschaft und Anspruchshaltung zunehmen. Manche Menschen sind sehr fordernd und vergreifen sich im Ton.
epd: Was wünschen Sie den Bahnhofsmissionen für die Zukunft?
Ziegler: Vor allem natürlich eine gute Ausstattung – personell und finanziell. Wir brauchen mehr Haupt- und Ehrenamtliche. Manche Bahnhofsmissionen mussten ihre Öffnungszeiten wegen Personalmangel einschränken. Ich wünsche mir, dass wir diese Zeiten wieder erweitern können, um dem Slogan der Bahnhofsmissionen „Wir sind da, wenn andere nicht da sind“ gerecht zu werden. Gerade läuft eine Kampagne über die großen Werbetafeln der Bahn, um Mitarbeiter zu gewinnen. Der Slogan lautet „Null Gehalt, aber ganz viel Lohn“. Hoffentlich werden über diese Aktion viele für ein Ehrenamt in der Bahnhofsmission motiviert.