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Wim Wenders porträtiert Anselm Kiefer

Poetisch-intuitive Annäherungen an den Bildenden Künstler Anselm Kiefer und seine gigantomanischen Werke.

Biografien sind praktisch, aber so ziemlich das Unwichtigste, wenn es um Bildende Künstler geht. Daten und Fakten haben auch Wim Wenders nicht an Anselm Kiefer interessiert. Ganz kommt allerdings auch sein Dokumentarfilm nicht um biografische Daten und Bezüge herum.

Auch Wenders zeigt Kiefer in seinen “wilden Jahren”, in denen er sich im (Schwarz-weiß)-Fernsehen mit der deutschen Öffentlichkeit anlegte, die den Weltkrieg weder verdaut noch reflektiert habe. Den “Skandal”, der in Kiefers Wikipedia-Eintrag diffus als Karrierebeginn verortet wird, hält auch Wenders im Film fest. Es sind die “Performance”-Fotos, auf denen Kiefer mit Hitlergruß vor Gebäuden der Zeitgeschichte in mehreren europäischen Ländern posiert. Gemocht oder geschätzt wurde Kiefer in Deutschland lange Zeit nicht. Wobei Agitation und Aufregung für die Karriere eines Künstlers wahrscheinlich nicht ganz unwichtig sind.

“Anselm”, so nennt Wenders seinen Dokumentarfilm. Diese freundschaftliche Nähe ist Programm. Beide sind fasziniert voneinander und wollten immer mal etwas “zusammen machen”. Doch es hat Jahrzehnte gedauert, bis zur Pandemie. Der dann entstandene Film ist ein höchst persönliches Werk.

Es wird erstaunlich viel geflüstert auf der Tonspur, die von der suggestiven, die Sinne schärfenden (Film-)Musik von Leonard Küßner bestimmt ist. Geflüsterte Gedichte von Paul Celan, Prosa von Ingeborg Bachmann. Es sind die Geister, die Kiefers Kunst beseelen, die in Fragmenten immer wieder auch auf seinen Werken zu lesen sind. Das Sounddesign und der Filmton schaffen es, dass das Flüstern über den Köpfen der Zuschauer den Kinoraum erfüllt. Dort, wo auch die Bilder schweben, die Kameramann Franz Lustig in stereoskopischem 3D aufgenommen hat.

Kiefer ist mehr als ein bildender Künstler, er ist ein “Erschaffer”, ein Gigantomane, ein Grobschlächter. Seine Werke passen in kein Wohnzimmer; kaum eine Kunsthalle wird ihrer Herr. Seine Bilderarchive sind in Ziegeleien oder ehemaligen Lagerhallen untergebracht. Dort lässt ihn Wenders mit dem Fahrrad durchradeln oder seine haushohen Werke ziemlich brachial auf Rollen gegeneinander schieben. Kiefers Werke gehen dadurch nicht kaputt; sie bestehen in aller Regel nicht aus leichtem Öl auf zarter Leinwand, sondern aus Blei, einer zentimeterdicken Farbschicht, abgefackeltem Stroh und einem mit einer undefinierbar schlammfarbenen Lösung imprägnierten Untergrund.

Wenders lässt diese Werke wirken, ohne sie einzuordnen. Dafür erfindet er Geschichten um sie herum. “Ich wollte meine Dokumentarfilme eigentlich immer so drehen, als handelte es sich um Fiktion”, notiert er in den Informationen zum Film. Und so verwandelt sich Anselm Kiefer plötzlich in einen kleinen Jungen oder in einen jungen Mann, der durch die Szenerie wandelt und gespielte Einblicke in das Wesen von Anselm Kiefer offenbart.

“Anselm (Das Rauschen der Zeit)” will Kiefer allerdings keineswegs “erklären”. Der Film wirft allenfalls Schlaglichter auf Leben und Werk. Das aber macht er auf höchst eindrückliche Weise. Einmal benutzt Wenders sogar ein Werk von Kiefer, um es zum Leben zu erwecken, indem er die im Kunstwerk verbauten alten Fotografien audiovisuell zum Leben erweckt und Filmaufnahmen des historischen Deutschlands hineinprojiziert. Hier kommt auch der 3D-Effekt wunderbar zur Geltung, den Wenders sonst eher spielerisch einsetzt.

In “Over Your Cities Grass Will Grow” hatte die Regisseurin Sophie Fiennes Kiefer bereits 2010 ein filmisches Denkmal gesetzt. Noch radikaler als bei Wenders, weil Fiennes den Mut hatte, die Werke von Kiefer über 20 Minuten hinweg wortlos abzufilmen und mit einem Soundtrack von Ligeti zu versehen. Wenders” Film ist filigraner und poetischer.

Inzwischen gilt Anselm Kiefer als einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart. Nach dem Ausland hat man das auch in seiner Heimat erkannt. Seine aus Blei, Stein und Farbe geformten Anklagen gegen Gewalt, Krieg und Unvernunft sind kanonisiert. Wenders tut sein Möglichstes, um dies zu unterstreichen. Auch wenn die Geruchsebene fehlt. Denn zur Überwältigung in Kiefers Hallen gehört immer auch der Sinneseindruck von Beton, Stroh, Leim und Lösungsmitteln.