Wildpferde, Clowns und Katzen im Miniformat

Hier jagt eine Herde Wildpferde über das Papier, dort verfolgt ein Obelisk einen Pierrot-Clown, anderswo begleitet eine Katze eine Schlittenfahrt: Teils skurrile Skizzen am Rande von Druckgraphiken sind das Thema einer außergewöhnlichen Schau, die ab Mittwoch (4. September) unter dem programmatischen Titel „Jenseits der Mitte“ in der Kunsthalle Bremen zu sehen ist. „Es ist die weltweit erste Ausstellung, die sich diesem Phänomen widmet“, sagte Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg am Dienstag.

Anhand von mehr als 100 Werken aus der Zeit zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert stellt die Kunsthalle in ihrem Kupferstichkabinett die Entwicklung der sogenannten Randeinfälle vor – in der Kunstszene unter dem französischen Begriff Remarques bekannt. Die detailreichen und oft humorvollen Skizzen – teils nur mit der Lupe zu erkennen – stammen unter anderem von Eugène Delacroix, Edouard Manet und Käthe Kollwitz.

In sechs Abteilungen sind die Arbeiten aus dem Bestand der Kunsthalle bis zum 5. Januar zu sehen. „Das waren Probedrucke mit begrenzter Auflage, die schnell zu begehrten Sammlerstücken wurden“, sagte Kuratorin Maria Aresin. So markierten die Randfigürchen oftmals auch die Seltenheit dieser Drucke.

Die Anfänge liegen weit zurück: Im Mittelalter tauchten auf den freien Rändern um Handschriften zunächst aufwändige Bordüren auf. In der Renaissance und im Barock fielen beim Drucken größerer Platten aus Kupfer immer wieder kleinere Restplättchen an, die ebenfalls genutzt wurden, um darauf mit winzigen Figürchen oder Szenerien zu experimentieren.

„Wenn man so will eine nachhaltige Form, das Arbeitsmaterial zu verwenden“, sagte Aresin. Daraus hätten sich dann später die Randeinfälle entwickelt: „Kleine figürliche Beigaben, die den sonst freien Platz um das Hauptmotiv bespielten und zum Leben erweckten.“

Besonders im Frankreich des 19. Jahrhunderts hätten sich die Remarques zu einer regelrechten Modeerscheinung entwickelt. „Manchmal gibt es keine Beziehung zwischen Rand- und Hauptmotiv, manchmal sind es skizzenhafte Übungen, manchmal kommentieren sie das Hauptmotiv, manchmal greifen sie das Geschehen im Mittelfeld auf und erzählen es weiter“, verdeutlichte Aresin. Gelegentlich seien die Skizzen auch ein Marketinginstrument gewesen, um das Bild quasi als eine Art Limited Edition teurer verkaufen zu können.

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts gerieten die Remarques immer mehr in Vergessenheit. „Viele sahen darin dann eine unnötige Spielerei“, sagte die Kuratorin. Mit einer Ausnahme: Schlusspunkt der Ausstellung sind Arbeiten des belgischen Malers Pierre Alechinsky, mit denen die Randskizzen ein letztes Comeback erlebten. „Und ihre künstlerische Anziehungskraft haben sie bis heute nicht eingebüßt“, betonte Aresin.