Wiegenlieder-Vorsingen fördert emotionale Bindung zu Kindern

Nach Einschätzung der Regensburger Musikwissenschaftlerin Franziska Weigert ist die schlaffördernde Wirkung von Wiegenliedern weitaus weniger eindeutig als gemeinhin angenommen. Wegen ihrer ruhigen musikalischen Struktur würden diese Lieder zwar kulturübergreifend, nicht nur im westlichen Musikraum, zum Einschlafen eingesetzt, sagte die Regensburger Wissenschaftlerin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Aber ihre Wirkung auf die Gehirnstruktur der Kinder sei bisher nicht belegt.

Einig seien sich Forscher darüber, dass über das Vorsingen, vor allem das regelmäßige durch Eltern und andere Bezugspersonen, Emotionen bei den Kindern reguliert werden könnten. „Durch die Regelmäßigkeit des Vorsingens und die Nähe der Eltern werden den Kindern Sicherheit und Stabilität vermittelt, was den Kindern beim Entspannen und dementsprechend beim Einschlafen hilft“, sagte Weigert, die an der Universität Regensburg und am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt zu diesem Thema forscht.

Wiegenlieder seien tief in den Kulturen verankert, weil sie positive Emotionen weckten und Bindung erzeugten, sagte Weigert. Auch der persönliche Präferenzfaktor und Musikgeschmack spiele dabei eine bedeutende Rolle. Derzeit werde viel dazu geforscht, weshalb in zwei bis drei Jahren dazu mehr gesicherte Erkenntnisse zu erwarten seien.

Auffallend ist ihr zufolge, dass berühmte Wiegenlieder wie „Guten Abend, gute Nacht“ von Johannes Brahms noch heute gesungen werden, obwohl sie eine teils antiquierte Sprache verwenden. Weigert vermutet, dass durch das Vorsingen durch emotionale Bezugspersonen die Lieder zwischen den Generationen weitergegeben werden und sich „so ein Dialog entspinnt“, sagte sie. Dadurch würden Wiegenlieder manchmal Jahrzehnte überspringen und „im kulturellen Gedächtnis erhalten bleiben“.

Kritisch sieht Weigert den Rückgang des akustischen Live-Singens zugunsten von Streaming-Medien oder Audiomedien. Studien zum Einsatz von Wiegenliedern auf Frühchen-Stationen hätten gezeigt, dass durch das Vorsingen die Sauerstoffsättigung der Babys angestiegen sei und die Eltern-Kind-Bindung begünstigt werde. „Das reine Hören von aufgenommener Musik hatte eine weitaus geringere Wirkung.“