Wie wir zu einem würdevollen Umgang mit der Natur zurückfinden

Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es im Grundgesetz. Wie aber ist es um die Würde der Natur bestellt? Offenbar schlecht, wie ein Blick auf Umweltzerstörung und Klimawandel zeigt. Ein Umdenken tut not.

Die alte Vorstellung einer beseelten und heiligen Natur und der heutige maßlose Umgang mit deren Ressourcen und Geschöpfen – die Gegensätze könnten kaum größer sein. „Wir stehen dieser Natur gegenüber, als ob wir nichts mit ihr zu tun hätten“, schreibt der Publizist Eckhard Löhr. In seinem Buch „Die Würde der Natur“ möchte er zu einem entschiedenen Perspektivenwechsel anregen, um zu einem guten Verhältnis zur Natur zurückzufinden. Für ihn gibt es viele Möglichkeiten, die Welt anders wahrzunehmen – und in der Folge anders mit ihr umzugehen.

Löhr ist davon überzeugt, dass die Spiritualität dabei eine zentrale Rolle spielen wird. Wer sich in das eigene Sein vertiefe und sein Ego in die Schranken weise, werde resonanzfähiger für die nichtmenschliche Mitwelt und achtsamer für deren Bedürfnisse. Er wünscht sich die „Ausbildung einer spirituellen Ökologie, die die Würde der Natur achtet und uns wieder in Kontakt mit der lebendigen Wirklichkeit bringt“. Spiritualität sei zugleich „das beste Gegenmittel zu einer Gesellschaft, die sich entschlossen hat, ihr Heil ausschließlich im Konsum, also in der Welt der materiellen Dinge, zu suchen“.

Die Stellung von Wirtschaft und Wissenschaft in der Gesellschaft hält Löhr für problematisch. Es sei ein Irrglauben zu denken, dass man sich aus der gegenwärtigen ökologischen Krise „heraustechnologisieren“ könne. „Anstatt den Weg in die Selbstzerstörung zu verlassen, arbeiten wir seit Jahrzehnten daran, diesen Weg technisch zu perfektionieren.“

Wie konnte es so weit kommen? Löhr spannt in seinem Buch einen großen geistesgeschichtlichen Bogen, in dem er auch wunde Punkte benennt, die zur Naturentfremdung des Menschen geführt haben. Das Christentum mit seiner Fokussierung auf den Menschen habe daran unter anderem ebenso einen Anteil wie die Philosophie, die bislang weder eine Umwelt- noch Tierethik entwickelt habe. Zugleich habe die Wissenschaftsgläubigkeit zugenommen.

Dieser, auf die äußerlich sicht- und messbaren Phänomene konzentrierte Blick ignoriere aber die nicht messbare, aber dennoch vorhandene „Innenseite“ der Welt. Dieser subjektiven und transzendenten Seite kann sich der Mensch nach Löhrs Auffassung nur über die Intuition, die Innenschau, die Religion oder die mystische Erfahrung annähern.

Löhr verweist darauf, dass Menschen in allen Religionen, Kulturen und Zeiten dieses Erleben tiefer Verbundenheit mit Gott und allem Seienden gemacht haben. Diese Erfahrungen seien rational oder wissenschaftlich nicht zu beschreiben, aber sie träfen den einzelnen mit „existenzieller Wucht“. Er verweist auf das mystische Ganzheitserlebnis des amerikanischen Ökologen Aldo Leopold. Als junger Mann war dieser auf Wolfsjagd. Der Blick in die Augen einer sterbenden Wölfin, in denen er „ein wildes grünes Feuer“ erlöschen sah, habe ihn zutiefst getroffen und zu einem Begründer der Umweltethik werden lassen.

Erkenntnisse der Quantenphysik scheinen die enge Verbindung alles Seienden zu belegen. Demnach gibt es keine Objektivität im wissenschaftlichen Sinn, weil der Beobachtende das Ergebnis durch die Versuchsanordnung selbst beeinflusst. Demzufolge hängt alles miteinander zusammen, löst sich Materie in Beziehungsstrukturen auf.

Umso wichtiger ist für Löhr die Rückbesinnung auf die Heiligkeit der Natur. „Wenn die Natur heilig ist, ist das, was wir ihr in jeder Sekunde antun, nicht nur ein Verbrechen, sondern Sünde im tiefsten Sinn des Wortes. Es wäre dann ein Kampf gegen den Ursprung des Heiligen, also ein Kampf gegen Gott.“

Ein Problem der heutigen Zeit sieht Löhr in der weit verbreiteten Oberflächlichkeit. Die heutigen Probleme sind für ihn aber keine Probleme der Oberflächen, „sondern der Tiefenstruktur dieser Welt bzw. unsere mangelnde Fähigkeit, diese zu erkennen, anzuerkennen und zu würdigen“. Die Oberflächlichkeit zu überwinden bedeute, einen anderen Blick auf die Welt zu entwickeln, der diese in ihrer Tiefe erkenne. „Denn dort liegt ihre Heiligkeit, ihre Schönheit und ihre Wahrheit.“

Auch wenn der Mensch derzeit alles dafür zu tun scheint, seine eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören – für Löhr ist er nicht in die Welt gekommen, um zu zerstören, sondern um zu heilen. „Vielleicht ist das der wahre Grund unserer Existenz.“ Die Menschen seien mutmaßlich die einzigen Wesen, die die Kluft zwischen Individuum und Natur auch wieder überwinden könnten.