Zehn Jahre “Wir schaffen das” – das sind zehn Jahre mit vielen Änderungen in der Migrationspolitik. Der aktuelle Innenminister setzt auf weitere Verschärfungen. Passt das noch zur Idee von Humanität?
Humanität und Ordnung – unter diese Schlagworte haben Deutschlands Innenminister seit dem sogenannten Flüchtlingssommer 2015 zumeist ihre Migrations- und Asylpolitik gestellt. Dabei kritisierten Flüchtlingshelfer, Menschenrechtler und Kirchen regelmäßig einen zu starken Fokus auf das Thema Asyl; von Humanität bleibe angesichts zahlreicher Verschärfungen und trotz ausgeweiteter Integrationskurse wenig übrig.
Eines zumindest dürfte aber unstrittig sein: Seit Angela Merkels Satz “Wir schaffen das” zur Aufnahme und Integration von Geflüchteten vor zehn Jahren gehören Migration und Asyl zu den Politikfeldern mit den meisten Änderungen. Das gilt nicht nur für den Umgang mit Schutzsuchenden, sondern auch für die erwünschte Einwanderung von Fachkräften, die durch neue Regeln erleichtert wurde.
Ähnlich dynamisch entwickelten sich die Asylzahlen: von einem Höchststand im Jahr 2016 mit rund 722.000 Erstanträgen über einen coronabedingten Einbruch im Jahr 2020 bis hin zu knapp 230.000 Erstanträgen im vergangenen Jahr – Tendenz zuletzt sinkend. Hinzu kamen ab Februar 2022 rund 1,2 Millionen ukrainische Kriegsflüchtlinge.
Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), seit Mai im Amt, betont, Humanität und Ordnung zum Ziel zu haben, treibt aber vor allem seine “Migrationswende” voran. Dazu gehören etwa Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Grenzen, der vorläufige Stopp für humanitäre Aufnahmeprogramme, die erneute Aussetzung des Familiennachzugs zu bestimmten Geflüchteten, die geplante Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten und eine angestrebte Nachschärfung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems.
Manches davon, wie die Zurückweisungen, ist neu, mit anderen Dingen steht Dobrindt in der Tradition seiner Amtsvorgänger. So wurden seit 2015 eine Handvoll Länder zusätzlich zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Und auch der Familiennachzug zu sogenannten subsidiär Schutzberechtigten war schon einmal für zwei Jahre ausgesetzt und zuletzt der Höhe nach beschränkt.
Bereits Dobrindts direkte Vorgängerin Nancy Faeser (SPD) hatte Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen eingeführt. Quasi alle Innenminister seit 2015 waren zudem darum bemüht, die Abschiebungen ausreisepflichtiger Ausländer zu forcieren. Regelmäßig wurden dazu neue Gesetze verabschiedet – ob unter Schwarz-Rot oder unter der Ampel. Sie sahen mal neue Einrichtungen für Asylbewerber vor, mal schnellere Verfahren, mal weniger Leistungen und generell meist einen härteren Umgang mit Abzuschiebenden.
Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte Ende 2023 an, “endlich in großem Stil abschieben” zu wollen. Tatsächlich schob Deutschland in den vergangenen Jahren wieder mehr Menschen ab, zuletzt rund 20.000 im Jahr 2024. Doch sind das immer noch weniger als in den Vor-Corona-Jahren 2015 bis 2018.
Aus Sicht der Bundesregierung soll die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems einen großen Durchbruch in Sachen Steuerung – und Begrenzung – der Migration Schutzsuchender bringen. Im Mai 2024 nach jahrelangen Verhandlungen auf EU-Ebene beschlossen, haben die Mitgliedstaaten noch bis Juni 2026 Zeit zur Umsetzung.
Vorgesehen sind unter anderem einheitliche Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, mit dem Ziel, Geflüchtete gegebenenfalls direkt von dort abschieben zu können. Auch sollen Menschen in sogenannte sichere Drittstaaten zurückgeschickt und Asylverfahren dorthin verlagert werden können.
Bislang ist vorgesehen, dass Betroffene eine Verbindung zu diesen Drittstaaten haben müssen. Das wollen einige EU-Staaten aber streichen. Die aktuelle Bundesregierung ist ausweislich ihres Koalitionsvertrags ebenfalls dafür. Die EU-Kommission hat neben einem Gemeinsamen Europäischen Rückkehrsystem für mehr und schnellere Abschiebungen bereits Lockerungen in der Verbindungsfrage vorgeschlagen. Danach könnten künftig etwa Migrationsabkommen mit anderen Staaten Abschiebungen dorthin möglich machen.
Auch Deutschland setzt auf solche Abkommen. CDU/CSU und SPD wollen damit legale Zuwanderung steuern und eine Rücknahmebereitschaft für Ausreisepflichtige sicherstellen.
Ob die europäischen Reformen am Ende dabei helfen werden, Humanität und Ordnung zu bringen, ist äußerst umstritten. Die Organisation Pro Asyl sprach schon im vergangenen Jahr – noch vor etwaigen Verschärfungen – von einem “historischen Tiefpunkt für den Flüchtlingsschutz in Europa”.