Wie Osnabrück seine Synagoge schützt

Mit einer „Solidaritätswache“ zeigen Osnabrücker den Jüdinnen und Juden der Stadt, „dass jemand da ist“ – auch noch ein Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023.

Mahnwache vor der Osnabrücker Sysnagoge. Rechts Initiator Winfired VErburg, neben ihm Landrätin Anna Kebschull
Mahnwache vor der Osnabrücker Sysnagoge. Rechts Initiator Winfired VErburg, neben ihm Landrätin Anna KebschullLandkreis Osnabrück / Uwe Lewandowski

Wer an jüdischen Feiertagen in die Synagoge von Osnabrück geht, begegnet vor dem Eingang einem Grüppchen freundlicher Osnabrückerinnen und Osnabrücker. Hier auf dem Gehweg vor dem unscheinbaren Gebetshaus in einem Wohnviertel halten sie zuverlässig Wache – Solidaritätswache, wie sie es nennen.

„Wir wollen den jüdischen Gemeindemitgliedern unsere Solidarität zeigen, vor allem, wenn sie zum Gottesdienst kommen und gehen. Dass jemand da ist!“, sagt Winfried Verburg, promovierter Theologe und vor seiner Pensionierung für katholische Schulen und Religionsunterricht im Bistum Osnabrück zuständig. Als Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Osnabrück hat er die Solidaritätswache mitbegründet und ist fast jedesmal dabei. Bisher seien zwar noch keine „Störungen“, wie er sagt, vorgekommen, „aber man muss immer damit rechnen. Und deswegen ist es gut, wenn auch jemand vom Vorstand anwesend ist“.

Diese Präsenz ist mehr als ein symbolischer Akt und Schutz dringend nötig: Allein zwischen April und Juni dieses Jahres wurden der Polizei deutschlandweit 715 antisemitisch motivierte Straftaten gemeldet, darunter 19 Gewalttaten. „An den jüdischen Herbstfeiertagen stellen wir uns auch wieder vor die Synagoge und weisen darauf hin, dass es uns nicht gleichgültig ist, dass jüdische Gottesdienste nur unter Polizeischutz stattfinden können“, sagt Verburg. „Es gibt viele Synagogen in Deutschland, vor die man sich stellen kann.“

Simchat Tora ist eigentlich ein Freudenfest

An ihren Feiertagen ist die Verletzlichkeit jüdischer Menschen und Einrichtungen besonders groß. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle fand 2019 an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, statt. Und dass der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 genau an Simchat Tora erfolgte, sei auch kein Zufall gewesen, sagt Verburg.

Der Anlass dieses Festes ist die Freude darüber, ein Jahr lang die Tora, also die fünf Bücher Mose, im Gottesdienst gelesen zu haben und wieder neu damit zu beginnen. „Jetzt ist dieses eigentlich freudige Fest konnotiert mit dem furchtbaren Morden der Hamas an jüdischen Menschen in Israel.“

In diesem Jahr fällt Simchat Tora auf den 25. Oktober. Nach den Solidaritätswachen zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana Anfang Oktober wird es bis dahin sechs weitere Wachen geben, die jeweils von 17 Uhr 30 bis 20 Uhr dauern: zu Jom Kippur (11./12. Oktober), Sukkot (16.-18. Oktober) und Schemini Azeret (24. Oktober). „Die ersten Stunden sind schon gut besetzt“, sagt der Organisator, „aber ab 18 Uhr 45 und an Sukkot könnte noch jemand dazukommen.“

Viele Gemeindemitglieder aus der Ukraine

Städterinnen und Städter und vermehrt auch Menschen aus dem Landkreis treffen sich, hängen ein Banner auf, das gegen Antisemitismus und für Demokratie wirbt, reden miteinander und mit Leuten, die an ihnen vorbei ins Gemeindezentrum gehen; für die Älteren werden Stühle aus der Synagoge geholt, Tee, Kaffee und auch mal ein Wodka wird herausgereicht. Die meisten Mitglieder dieser jüdischen Gemeinde stammen aus der Ukraine und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion.

Manchmal beteiligen sich politische oder kirchliche Gruppen, die Oberbürgermeisterin war schon da, die Landrätin ebenfalls, und auch der niedersächsische Antisemitismusbeauftragte stand hier schon Wache. Aber meistens kommen Privatpersonen.

Jede und jeder Einzelne sei herzlich eingeladen, sich auch spontan dazuzustellen, sagt Winfried Verburg. „Es geht uns nicht darum, an einem Tag möglichst viele Menschen zu aktivieren, sondern um Kontinuität.“ Sein Eindruck ist, dass die Teilnehmenden dankbar sind für eine Möglichkeit, ihre Solidarität auszudrücken.

Positive Reaktionen überwiegen

Für den ausgebildeten Religionslehrer, der in Osnabrück vor dreizehn Jahren eine Dreireligionenschule geplant und realisiert hat, ist es keine Frage, dass er an diesem Ort Gesicht zeigt, auch unabhängig von den Terrorangriffen der Hamas und der Hisbollah und der Reaktion Israels: „Bei der Solidaritätswache geht es um den Schutz der jüdischen Menschen hier bei uns angesichts des öffentlicher gewordenen Antisemitismus in Deutschland.“

Der hat ihn schon im Berufsleben erschüttert. „Wenn Eltern sich in Schulen nicht wagen zu sagen, dass sie jüdisch sind, dann haben wir ein Problem und zwar nicht erst seit dem 7. Oktober.“ Er hat seine Konsequenz daraus gezogen: „Hier muss ich als Bürger und Christ aktiv werden!“

Die Reaktionen der wenigen Passanten sind positiv – „Ich finde es gut, dass ihr das macht!“, bekommen Verburg und seine Mitstreitenden zum Beispiel zu hören. Und auch die jüdische Gemeinde dankt es ihnen: „Das ist ein ganz tolles Zeichen!“, sagt Michael Grünberg. „Das macht für uns einen großen Unterschied!“

„Da wird eine besondere Trauer sein“

Grünberg ist der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Osnabrück. „Überall ist diese Anti-Israel-Stimmung zu vernehmen. Wir haben zwar die volle Unterstützung der Stadt und mit Sicherheit auch die eines Großteils der Stadtgesellschaft, aber dass Leute hierherkommen und sich an den angekündigten Tagen vor die Synagoge stellen, das ist ein großes Zeichen der Verbundenheit.“

Was den 7. Oktober betrifft, sagt Grünberg: „Das wird für alle ein schwieriger Tag. Da wird eine besondere Trauer sein, weil ja mehr als hundert Geiseln noch nicht zurückgekehrt sind.“ Aber eine spezielle Feier würden sie deswegen nicht veranstalten: „Wir beten in jedem Gottesdienst für das Wohl der Menschen und die Rückkehr der Geiseln.“ Dafür brauchen sie keinen Gedenktag.

Infos zur Solidaritätswache gibt es unter www.gcjz-os.de