Erkennt man Lügner daran, dass sie Blickkontakt meiden und nach links oben schauen? Nein, sagt ein professioneller Ermittler. Es gibt aber durchaus Kriterien, mit denen man Aussagen auf ihre Glaubwürdigkeit prüfen kann.
Wenn Pinocchio Lügen erzählte, fing seine Nase an zu wachsen. Deshalb kam ihm Meister Geppetto, bei dem die kleine Holzpuppe aus dem italienischen Kinderbuch-Klassiker lebte, jedes Mal auf die Schliche. “In der Realität sieht man seinem Gegenüber nicht so einfach an, ob es die Wahrheit sagt”, erklärt Michael Saller, der lange Zeit als Ermittler beim Bundeskartellamt tätig war und regelmäßig Workshops zur Informationsgewinnung hält. Saller wurde zunächst auf Polizeischulen ausgebildet und hat dann die Vernehmungstechniken weiterentwickelt. Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Befragungstechniken der Profis auch für die tägliche Kommunikation hilfreich sein können.
Personalgespräche, Geschäftsverhandlungen, Interviews – letztlich geht es immer darum, dass die eine Seite möglichst viel wissen möchte, während die andere nur das erzählen will, was ihr vorteilhaft erscheint und was sie in einem günstigen Licht zeigt. Um angesichts dieser gegensächlichen Positionen für eine gute Gesprächsbasis zu sorgen, rät Saller zum “aktiven Zuhören”. “Dazu gehört beispielsweise, dass man sein Gegenüber anderen nicht unterbricht”, erläutert der Profi, “und nicht in Gedanken bei den eigenen Argumenten ist, während der andere noch spricht”.
Ein absolutes No-Go sei es außerdem, Äußerungen des Gegenübers zu bewerten. Falle diese Bewertung nämlich negativ aus, sei damit zu rechnen, dass der Partner von nun an filtere oder beschönige. Sinnvoller sei, durch Zusammenfassungen und Paraphrasierung zu zeigen, dass man ihn verstanden habe und seine Position wertschätze.
Saller ist überzeugt, dass man mit dieser Methode auch Lügner leichter durchschauen kann: “Nur, wer zunächst ausreichend Gesprächsmaterial sammelt, kann auf dieser Grundlage später die Glaubwürdigkeit seines Gegenübers mit einiger Sicherheit einschätzen,” erklärt der Ermittler. Auch der Smalltalk zu Gesprächsbeginn oder in der Kaffeepause sei deshalb von Bedeutung.
“Lügner überschätzen prinzipiell die Möglichkeiten ihrer Mitmenschen, sie zu durchschauen”, so Sallers Beobachtung. Diesen Eindruck gelte es zu verstärken, indem man besonders gut vorbereitet in ein Treffen geht – oder zumindest vorgebe, es zu sein. Vermutet man, dass der andere trotzdem Ammenmärchen auftischt, könne man bei einem zweiten Gespräch dieselben Fragen stellen wie bei der ersten Begegnung. Sagt jemand die Unwahrheit, wird er nach einer gewissen Zeit oft Schwierigkeiten haben, seine Story nochmals in gleicher Form wiederzugeben, da sich Ausgedachtes weniger gut einprägt als tatsächliche Erlebnisse.
Ein weiterer Profi-Tipp: sich unvermittelt nach Details wie dem Wetter am Tag des Geschehens, der Sitzordnung im fraglichen Meeting oder dem Verkehr bei der Anreise erkundigen. “Wer etwas erlebt, nimmt diese Dinge automatisch wahr. Wer alles nur erfunden hat, wird oft ins Grübeln kommen”, sagt Saller.
Weil unehrliche Leute meist wollen, dass man sie für verlässlich hält, würden sie außerdem nur selten zugeben, sich an etwas nicht genau zu erinnern – außer natürlich, sie könnten eine Frage nicht beantworten und wollten nicht mir ihrem Märchen auffliegen. Deshalb hält Saller Zeugen, die auch einmal an ihrer Wahrnehmung zweifeln, für glaubwürdiger als diejenigen, die alles ganz genau mitbekommen haben wollen. Auch spätere, spontane Ergänzungen zu bereits erzählten Vorgängen gelten für ihn als Wahrheitskriterium.
Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung warnt der Ermittler allerdings davor, das eigene Bauchgefühl zu überschätzen. Er selbst hat mehrfach Betrüger entlarvt, die ihm anfangs durchaus sympathisch und glaubwürdig erschienen. Auch sollte man sich bewusst machen, dass jemand nicht ehrlich sein muss, nur weil er als erfolgreiche Führungskraft in der Chefetage arbeitet – oder immer unehrlich, weil er schon einmal geflunkert hat.
“Die perfekte Lüge gibt es nicht”, sagt Saller. Die absolute Sicherheit, dass jemand geschwindelt hat, habe man allerdings auch nur selten. Anders als bei Gericht, wo bis zum eindeutigen Beweis einer Falschaussage keine Strafe verhängt werden könne, könne man sich im täglichen Miteinander jedoch schon von jemandem distanzieren, wenn man ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit der Lüge verdächtige.