„Wie eine rote Signalrakete“

Er ist einer der Protagonisten der Fusion zur Nordkirche: Nun geht Personaldezernent Ulrich Tetzlaff in den Ruhestand – mit 63 Jahren. Dafür hat er seine Gründe.

Oberkirchenrat Ulrich Tetzlaff wurde Anfang Januar im Kieler Landeskirchenamt verabschiedet
Oberkirchenrat Ulrich Tetzlaff wurde Anfang Januar im Kieler Landeskirchenamt verabschiedetNicole Kieswetter

Herr Tetzlaff, Sie gehen als Personaldezernent im Landeskirchenamt in Kiel zum Ende des Monats mit 63 Jahren in den Ruhestand. Sie hätten noch bleiben können.
Ulrich Tetzlaff: Es ist ein guter Zeitpunkt, um das Amt jemand Jüngerem zu überlassen. Die Gremien der Nordkirche haben sich einmal alle neu gebildet, die Synode hat sich neu konstituiert, die Bischofsämter sind neu besetzt. Und: Zwölf Jahre Personaldezernent – das war auch anstrengend. Das ist wie die Arbeit im Maschinenraum: Wir sind zuständig für das selbstverständliche Grundrauschen, das nach außen kaum wahrgenommen wird, und natürlich auch für manche Havarie.

Klingt ein wenig ernüchternd.
Ich kann es auch positiver formulieren: Im Personaldezernat wird das Feld beschrieben, in dem sich kirchliche Mitarbeiter entfalten können. Wir versuchen zu helfen, pastorale Biografien zum Leuchten zu bringen. Das ist vermutlich nicht immer gelungen, aber doch recht häufig.

Sie waren Pastor in Brüssow, Uckermark, anschließend im Ostseebad Heringsdorf. Dann waren Sie Superintendent in Pommern, bis Sie nach Kiel gingen – ein bewegtes berufliches Leben.
Ja, es kam immer wieder der Punkt, sich mal wegzubewegen. Ich gestalte gern und übernehme auch gern Verantwortung. Brüssow als erste Pfarrstelle war natürlich etwas Besonderes. Meine Frau als Kirchenmusikerin und ich sind als junge Familie im Ort angekommen und konnten mit großem Spaß erste berufliche Schritte gehen. Außerdem fiel in diese Zeit die politische Wende von 1989, und ich begann, als erster Präsident der Stadtverordnetenvertretung Kommunalpolitik zu machen. Irgendwann kam die Anfrage, ob ich nicht die Pfarrstelle in Heringsdorf übernehmen wollte. Aber ich fühlte mich unabkömmlich. Ungefähr ein halbes Jahr später habe ich in der Kirchenzeitung noch mal die Stellenausschreibung für die Stelle gelesen, und da hat es dann „Klick“ gemacht.

Dort waren Sie von 1995 bis 2003.
Ja, auch eine sehr erfüllte Zeit. Ich musste mich neu erfinden, mich in die Tourismusarbeit einfinden. Meine Frau und ich fingen an, Konzerte zu organisieren. In den Sommermonaten lebten wir in einem brodelnden Pfarrhaus. Und ganz prägend für die Zeit war die gute ökumenische Zusammenarbeit mit meinem katholischen Kollegen Bernhard Langner. Die Gemeinden haben regelmäßig gemeinsam Gottesdienst und Feste gefeiert und alltägliches Leben geteilt.

Nach ein paar Jahren als Super­intendent in Greifswald kam 2010 der Ruf nach Kiel – noch vor der Fusion der Landeskirchen von Nordelbien, Mecklenburg und Pommern zur Nordkirche 2012.
Das war für viele eine paradoxe Intervention, dass ich aus Greifswald dort aufgetaucht bin, quasi wie eine rote Signalrakete: Es wird ernst mit der Fusion. Den Mecklenburgern ging das vermutlich manchmal etwas zu schnell. Man könnte sagen, wir Pommern sind wie aufgeregte Kinder durch den Sandkasten der Mecklenburger zwischen Nord­elbien und Pommern hin- und hergelaufen. Und tatsächlich war die Geschwindigkeit, mit der die Fusion dann zustande kam, schon abenteuerlich. Die Nordkirche ist ein innovatives und von allen Partnern gemeinsam getragenes Projekt, eine Kirche, die den Ostseeraum abbildet. Die Bildung der Nordkirche ist für das, was strukturell möglich ist, optimal gelaufen.

Beim Nordkirchen-Begegnungstag im Februar 2009: Ulrich Tetzlaff (2.v.l.) mit Bischöfin Maria Jepsen und den Bischöfen Gerhard Ulrich und Andreas von Maltzahn
Beim Nordkirchen-Begegnungstag im Februar 2009: Ulrich Tetzlaff (2.v.l.) mit Bischöfin Maria Jepsen und den Bischöfen Gerhard Ulrich und Andreas von MaltzahnSven Kriszio / epd

Und emotional sind die ehemaligen drei Landeskirchen zusammengewachsen?
Man könnte die Gegenfrage stellen: Wie homogen waren Nordelbien, Mecklenburg und Pommern in sich? Ich sehe die Nordkirche als einen Ermöglichungsraum, in dem eine versöhnte Verschiedenheit gelebt werden kann. Ein guter Rahmen ermöglicht freie Entfaltung der Unterschiede in gegenseitigem Respekt. Durch Bevölkerungsströme nach 1945 und nach 1989 ist diese Region ohnehin mehr zusammengewachsen, als man es manchmal wahrhaben will.

Greifswald – Kiel, das war ein beruflicher und privater Sprung für Ihre Frau und Sie.
Nicht wenige, auch Kieler, die nach Greifswald gezogen waren, haben gesagt, lasst das, das ist ganz anders da, ihr macht euch heimatlos. Und ja, die Sozialcodes sind anders – aber das wäre in Sachsen sicher auch so, das ist keine ausschließliche Ost-West-Geschichte. Und ich muss sagen, ich kann mich null beklagen. Auch meine Frau hat nach einer etwas schwierigen Anfangsphase ihre Aufgabenbereiche gefunden.

Als Personaldezernent haben Sie maßgeblich das nicht unumstrittene Personalplanungsförderungsgesetz mit auf den Weg gebracht, das die Synode 2019 beschlossen hat.
Ja, der Vorwurf lautete: Die Nordkirche plant uns die Pastorenzahlen herunter. Aber darum ging und geht es nicht. Mit dem Gesetz wird den Kirchenkreisen, Hauptbereichen und der Landeskirche eine bestimmte Anzahl von Pastorinnen und Pastoren zugeteilt, die in Vollbeschäftigungseinheiten berechnet werden. Grund ist, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren das ­Ruhestandsalter erreichen. Bis 2030 gehen etwa 900 von 1700 Pastorinnen und Pastoren in den Ruhestand. Jedoch werden prognostiziert nur etwa 300 Pastorinnen und Pastoren in den Dienst auf­genommen werden können. Das Gesetz soll einen Rahmen setzen, der es ermöglicht, dass der demografisch bedingte Personalrückgang von allen Regionen gemeinsam getragen wird. Eine Überprüfung des Gesetzes steht an. Ziel muss sein, auch künftig auf dem gesamten Gebiet der Nordkirche die Verkündigung des Evangeliums zu ermöglichen. Es kann eben nicht jeder nach Hamburg, nach Rostock oder nach Greifswald gehen.

Was tut die Nordkirche, um dem Pfarrermangel entgegenzuwirken?
Es wird viel für Nachwuchswerbung getan, damit wir überhaupt 300 gut ausgebildete und motivierte Personen für diese Aufgabe gewinnen können. Dazu gehört aber auch, dass wir Berufs- und Gemeindebilder neu definieren müssen. Und die Kirchenkreise und die Kirchengemeinden müssen auf allen Ebenen gute Rahmenbedingungen für ihre Pfarrstellen schaffen. Außerdem konnte der Studiengang „Master of Theological Studies“ an der Theologischen Fakultät in Greifswald etabliert werden. Er richtet sich an Menschen mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium sowie mindestens fünf Jahren darauf aufbauender Berufserfahrung. Das wird bereits gut angenommen und ist ein Schritt, Menschen mit anderen beruflichen Vorerfahrungen für das Pfarramt zu interessieren und sie auch gut auszubilden. Es geht heute nicht nur darum, möglichst viel, sondern hochqualifiziertes Personal zu haben. Es geht um Sozialkompetenz, Selbstreflexion, Organisationstalent und die Fähigkeit, die Fragen der Gesellschaft von heute wahrzunehmen und öffentliche Verkündigung dazu angemessen in Relation zu setzen.

Wo haben Sie das gelernt?
Ich bin 2001 als Kandidat in das Wahlverfahren für das Bischofsamt in Pommern geraten, das war, gelinde gesagt, recht ambitioniert. Und nicht gewählt zu werden, das tut immer auch weh. Aber bei diesem Wahlverfahren, das über anderthalb Jahre gedauert hat, habe ich wahnsinnig viel gelernt, was ich als Personaldezernent gut gebrauchen und weitergeben konnte: Wie professionell geht man mit Menschen um, was passiert mit mir, was passiert mit den anderen während eines Wahlverfahrens. Es geht darum, den Menschen in seinen Bedürfnissen zu sehen und ihm vielleicht den einen oder anderen guten Rat zu geben. Dazu gehört natürlich auch, jemandem zu sagen, lass es, es ist nicht das Richtige für dich.

Zum Schluss die unausweichliche Frage: Was planen Sie für Ihren Ruhestand?
Warten, bis ein Zustand produktiver Langeweile eintritt. Bis dahin gehe ich wandern und segeln. Ich muss erst einmal die Festplatte leer bekommen.