Wie ein Sozialarbeiter Neonazis beim Ausstieg hilft

Wer einmal drin ist in der rechten Szene, kommt schwer wieder raus. Sozialarbeiter Kai Fischer aus Niedersachsen hilft Rechtsextremen beim Ausstieg – kein einfacher Prozess.

Aus der Neonazi-Szene auszusteigen, ist ein schwieriges Unterfangen
Aus der Neonazi-Szene auszusteigen, ist ein schwieriges UnterfangenImago / Ipon

Rechtsextremismus nimmt in Deutschland laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu. Der Anteil der Bürger mit einer solchen Orientierung liegt bei rund acht Prozent. Er hat sich damit im Vergleich zu den Vorjahren verdreifacht.

„Die rechtsextreme Szene ist eine Bedrohung für unsere Gesellschaft“, sagt Kai Fischer, Sozialarbeiter bei der „AussteigerhilfeRechts“ in Oldenburg. Das Programm wurde 2001 vom niedersächsischen Justizministerium ins Leben gerufen und hilft Menschen, einschlägige Gruppen zu verlassen und sich wieder in die Mehrheitsgesellschaft zu integrieren. Rund 170 Menschen haben Fischer und sein Team seither betreut.

Kamera bleibt ausgeschaltet

„Die Gründe für einen Einstieg in die Szene sind individuell“, sagt Fischer. Im Videoanruf lässt er seine Kamera ausgeschaltet, um seine Identität zu schützen. „Oft spielen fehlende Anerkennung im Jugendalter oder Mobbingerfahrungen eine Rolle.“ In den Gruppen könnten die Betroffenen Freunde finden und sich stark fühlen. Sie böten einfache Erklärungen für komplexe Herausforderungen. „Das ermöglicht mir, ein Feindbild zu haben und die Welt zu verstehen.“

Allerdings ist diese Zugehörigkeit mit Schattenseiten verbunden. „Wer in der rechten Szene aktiv ist, steht häufig unter großem Druck“, berichtet Fischer. Die Teilnahme an Kameradschaftstreffen und Demonstrationen sei nicht selten Pflicht. Ein Leben mit Partner, Kind und Haus gestalte sich schwierig. „Wer sich nicht mehr beteiligt, wird bedroht.“

Springerstiefel gehören in der Neonazi-Szene dazu
Springerstiefel gehören in der Neonazi-Szene dazuImago / Müller-Stauffenberg

Viele Menschen, die bei Fischer und seinen Kollegen Hilfe suchen, sehnen sich nach einem normalen Leben. In vielen Fällen spielt auch Gewalt, die sie erfahren oder selbst ausgeübt haben, eine Rolle. „Wenn ich zum ersten Mal jemandem ein Messer in den Bauch ramme und in einer Blutlache stehe, dann macht das etwas mit mir“, sagt der Ausstiegshelfer. Nicht selten zögen solche Verbrechen Polizeivernehmungen, Hausdurchsuchungen und erste Inhaftierungen nach sich. „Damit verbunden ist häufig die Erkenntnis, dass mich die Szene genauso fallenlassen kann, wie sie mich aufgebaut hat.“

Hilfesuchende melden sich meist über Institutionen wie Polizei, Jugendamt und Gefängnis bei den Sozialarbeitern. „Wir bieten ihnen zunächst Freiraum für vorurteilsfreie Gespräche“, so Fischer. „Wenn es dann wirklich in die Betreuung geht, können wir mit ihnen an ihrer Biografie und Ideologie arbeiten.“

Fischer und seine Kollegen unterstützen finanziell bei einem Umzug oder einer Namensänderung und vermitteln bei psychischen Erkrankungen eine Behandlung. Ein großes Thema sei das Entfernen von Tätowierungen. „Viele Menschen haben ein Tattoo, mit dem sie sich einerseits nicht mehr wohlfühlen und andererseits in der Gesellschaft immer als Rechtsextremer wahrgenommen werden.“

Aussteiger werden drei Jahre lang betreut

Im Schnitt betreuen die Mitarbeiter der „AussteigerhilfeRechts“ einen Klienten drei Jahre lang. Rund ein Viertel bricht die Betreuung wieder ab. Manchen genüge eine Reduzierung des Leidensdrucks, und sie wollten sich nicht weiter mit der eigenen Ideologie auseinandersetzen, so Fischer. Andere rutschten in die Abhängigkeit von Suchtmitteln.

Behördliche Aussteigerprogramme für Rechtsextremisten gibt es auch in weiteren Bundesländern. Hinzu kommen das deutschlandweite Programm „WendePUNKT“ des Bundesamts für Verfassungsschutz sowie mehrere nichtstaatliche Angebote.

„Neonazis bedienen wir nicht“

Um Rechtsextremisten umzustimmen, sieht Fischer alle Menschen in der Verantwortung. Er erzählt vom Fall eines Mannes, der nach einer Verurteilung seinen Job verlor und so „geoutet“ wurde. Als er Brötchen holen wollte, habe eine Verkäuferin entgegnet: „Tut mir Leid, aber Neonazis bediene ich in meiner Bäckerei nicht.“ Nach diesem Erlebnis habe der Mann den Entschluss gefasst auszusteigen, sagt Fischer: „Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“

Es sei wichtig, Menschen zum Beispiel auf merkwürdige Tattoos und T-Shirts rechter Bands anzusprechen. „Wir brauchen dringend Zivilcourage. Nur wenn wir zeigen, dass Extremismus nicht salonfähig ist, können wir Menschen zum Ausstieg bewegen.“