Wie die Kirchen Seelsorge leisten

Gerade jetzt suchen viele Menschen Halt – und irgendjemand ist immer zur Stelle. Am Telefon genauso wie auf dem Wochenmarkt. Ein Streifzug durch einen Seelsorge-Tag im Norden.

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Es ist morgens um 8 Uhr, und die Glocken des Klosters Bursfelde läuten weithin hörbar. Jetzt würden sich die Teilnehmer der Exerzitien in dem romanischen Gemäuer zum Morgengebet versammeln, singen und Abendmahl feiern. „Nun ist das anders. Das Geistliche Zentrum Kloster Bursfelde ist geschlossen“, erzählt Pastor Klaus-Gerd Reichenheim. Die Einrichtung der Landeskirche Hannovers gibt stattdessen auf ihrer Homepage Impulse für Andachten und Gebete. „Das ist wichtig in dieser Zeit“, so der Leiter des Zentrums. Das evangelische Kloster sei eine wichtige Adresse für Menschen. Hier würden sie geistlichen Beistand suchen.

Die fast 1000 Jahre alte ehemalige Benediktinerabtei liegt idyllisch an der Mündung der Nieme in die Weser, die sich hier kaum 100 Meter entfernt gemächlich vorbeischlängelt. Reichenheim und seine beiden Kollegen Pastorin Elke Harms und Diakon Klaas Grensemann bieten hier zu anderen Zeiten unter anderem einwöchige Exerzitien und feste Gebetszeiten an. Sowohl Gruppen als auch Einzelpersonen können hier zur Ruhe kommen, nachdenken und Kraft schöpfen. Auch seelsorgerliche Einzelgespräche gehören zum Angebot des Klosters, das benediktinischen Geist pflegt.

Das Kloster Bursfelde
Das Kloster BursfeldePrivat

Begleitung heiße vor allem, zuzuhören und mitzugehen, auch das Schwere mitzutragen“, erzählt Reichenheim. In vielen der Einzelgespräche gehe es um Entscheidungen. „Wenn man im Schweigen ist, melden sich innere Stimmen, Sorgen, Fragen, Probleme, aber auch Freude“, sagt der Seelsorger. „Das Aussprechen ist wichtig, um für sich eine Antwort zu finden. Ich weiß die Antwort nicht“, so der Geistliche weiter. Im Aussprechen spüre man besser, ob noch etwas an der Entscheidung fehlt.“

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Gemeindepastorin auf dem Wochenmarkt

Am Freitagmorgen, wenn die Menschen in Büsum an der Nordsee auf den Wochenmarkt gehen, ist die Kirche schon da. Gemeindepastorin Catharina Klein und ihre Kollegin Ina Brinkmann haben einen kleinen Stand aufgebaut und ein Lastenfahrrad mitgebracht. Sie verteilen als kleine Mitbringsel Postkarten mit Bibelsprüchen drauf. Sie tragen Masken und halten natürlich den Mindestabstand ein, wie Catharina Klein sagt. Mit ihrer Kollegin wechselt sie sich mit der Präsenz auf dem Wochenmarkt ab.

Generell würden die Menschen in diesen Tagen mehr Seelsorge brauchen, sagt Catharina Klein. Doch dieser Bedarf komme nicht zu hundert Prozent bei den Pastoren in den Gemeinden an. So wird sie zum Beispiel von einer Hotline ihres Kirchenkreises Dithmarschen unterstützt. Dort haben sich viele Pastoren zusammengetan, um immer erreichbar zu sein.

Je länger die Corona-Krise dauert, umso mehr würden die Menschen die Kirche zu schätzen wissen, hat Catharina Klein gemerkt. „Die Menschen fühlen, dass wir gute Ansprechpartner sind.“ Gerade für das Nordseebad Büsum ist das laut der Pastorin wichtig, denn viele Bewohner leben vom Tourismus und sind nun in ihrer Exitenz bedroht.

Mit den Kräften am Ende

In ihren Seelsorge-Gesprächen hat die 32-Jährige gemerkt: „Viele Eltern sind mit den Kräften am Ende.“ Besonders bei kleineren Kindern werde die Lage schwierig, weil man ihnen nicht erklären könne, warum die Kita geschlossen sei. Die Folge sein eine Art „Lagerkoller“. Dann bietet Catharina Klein ganz klassische Seelsorge: zuhören und Fragen beantworten.

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Polizeiseelsorger am Unfallort

Mittags klingelt bei Polizeiseelsorger Frank Waterstraat in Hannover das Telefon. „Sind sie verfügbar?“, fragt der Polizist am anderen Ende der Leitung. Und schon wenige Minuten später sitzt Niedersachsens leitender Polizeiseelsorger in einem Streifenwagen und lässt sich zum Unfallort fahren. Ein paar Infos lässt er sich noch unterwegs am Telefon von dem Vorgesetzten der beiden jungen Polizisten geben, die als erste am Unfallort waren.

Ein Fußgänger sei von einem Auto erfasst worden, hört er. Von einem „zerfetzten Körper“ ist die Rede. Und dann ist Pastor Frank Waterstraat schon vor Ort. „Es geht in solchen Gesprächen mit den betroffenen Polizisten immer um dasselbe“, sagt der Geistliche. „Sie müssen sich von der Seele reden, was sie gesehen und erlebt haben.“ Das sei jedoch freiwillig.

Steffen Schellhorn /epd

Zehn Jahre ist Frank Waterstraat jetzt Leiter des Kirchlichen Dienstes in Polizei und Zoll der Konföderation der Evangelischen Kirchen in Niedersachsen. Er fährt nicht nur zu Einsätzen wie diesen, sondern unterrichtet auch an der Polizeiakademie Niedersachsen, hält Vorträge und gibt Seminare in Polizeidienststellen. Gelegentlich tauft er Kinder, traut Ehepaare. Manchmal begleitet der Seelsorger die Polizisten auf Demonstrationen oder zu Fußballspielen.

Ein weites Herz

So umständlich die Bezeichnung seiner Funktion ist, so herausfordernd ist jedoch vor allem der akute Einsatz: „Ich versuche mich einzufühlen“, sagt Waterstraat. „Dafür braucht man ein weites Herz. Man muss zuhören können, nachfragen und nicht bewerten“, so der 57-Jährige weiter. Er ist selbst freiwilliger Feuerwehrmann. „Erst wenn alles erzählt ist, gebe ich vorsichtige Ratschläge“, so Waterstraat weiter. Am wichtigsten sei es jetzt für die betroffenen Polizisten, gut auf sich zu achten, sagt Waterstraat. „Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, gesund herauszukommen.“

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Telefonseelsorge kümmert sich um Mobbing-Opfer

Nachmittags, zum Feierabend, ist viel los bei der Telefonseelsorge in Lübeck. „Es geht dann viel um Beziehungen“, erzählt Leiterin Marion Böhrk-Martin. Um Mobbing am Arbeitsplatz etwa. Oder einen Zwist in der Familie. Häufig suchen auch über 60-Jährige ein Gespräch, die gerade eine Scheidung hinter sich haben. „Die merken dann, dass sie allein sind. Dass alles weggebrochen ist. Schließlich hat sich die Ehefrau doch immer um die Kontakte gekümmert.“ Einsamkeit – das ist ein großes Thema. „Das aber auch viele junge Menschen betrifft.“, so Pastorin Böhrk-Martin, die die Einrichtung leitet.

Mindestens einer ist immer dran – an einem der zwei Hörer. 90 Ehrenamtliche gibt es, die die Schichten rund um die Uhr besetzen. Und diese beginnt meist auf Socken. „Wir sitzen in einer alten, großbürgerlichen Wohnung in der Lübecker Innenstadt. Und da die Dielen knarren, ziehen viele ihre Schuhe aus“, berichtet Marion Böhrk-Martin.

Telefonseelsorge in Zeiten der Corona-Krise
Telefonseelsorge in Zeiten der Corona-Kriseepd-bild / Werner Krüper

Anschließend gibt es eine Schichtübergabe – für die die meisten auch 15 Minuten früher kommen. „Dann wird geredet: ‚Wie war die Schicht? Wer könnte nochmal anrufen?‘, erzählt Böhnk-Martin. Auch ein Kaffee oder Tee wird dann manchmal noch zusammen getrunken. Und wer geht, kann das ihm Anvertraute zurücklassen. Das Gespräch zur Schichtübergabe, das sei die wahre „Nervennahrung“, so die Pastorin.

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Chat-Seelsorge will „richtig loslegen“

Abends, wenn andere Feierabend machen, beginnt für die Mitarbeiter der Chatseelsorge die Arbeit. Viermal pro Woche sind sie ab 20 Uhr zu erreichen. Als für Deutschland das Kontaktverbot kam, war für Pastor Carsten Knabbes klar: „Jetzt müssen wir richtig loslegen!“. Deshalb sind der Corona-Krise sind jetzt auch mittags zweimal pro Woche Seelsorger unter www.chat-seelsorge.de zu erreichen. Und am Sonntagvormittag wird eine Andacht gehalten.

Für die Nutzer ist alles anonym, die Seelsorger sind aber zu identifizieren. Wer den Chat betritt, wird zunächst von einem Moderator begrüßt. Möglich sind dann ein Gruppen-Chat oder ein Einzel-Chat mit seinem Seelsorger – abhängig vom Anliegen des Nutzers. Knabbes ist der einzige hauptamtliche Mitarbeiter der Chat-Seelsorge, er wird unterstützt von etwa 30 Pastoren, Diakonen und kirchlichen Mitarbeitern. Getragen wird die Einrichtung von der Landeskirche Hannovers und der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Knabbes spricht gern von seiner „Chat-Gemeinde“. Etwa 30 Menschen würden immer wieder kommen und den gleichen Nutzernamen gebrauchen. Sie alle eint ein großes Problem: die Einsamkeit. Fast alle würden ohne Partner leben, sagt Knabbes. Corona habe dieses Problem noch verstärkt. Zur sozialen Isolation komme nun noch Existenzangst.