Durch das Leben mancher Menschen zieht sich ein einziges Thema wie ein roter Faden. Bei Renate Maaßen ist es das Schicksal des legendären Lakota-Kriegers Crazy Horse. Seit über 50 Jahren ist sie ihm nun auf der Spur.
Manche Bücher können ein Leben verändern. Bei Renate Maaßen war es “Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses” – mit 13 Jahren bekam sie das Sachbuch von Dee Brown geschenkt. Die Geschichte der sogenannten Indianerkriege in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in denen sich die nordamerikanischen Indigenen gegen die europäischen Einwanderer wehrten und fast ausgerottet wurden, ließ sie nicht mehr los.
Der Genozid und das erlittene Unrecht hatten das Herz der heute 66-jährigen Bonnerin angerührt. In dem Buch erfuhr sie auch vom tragischen Schicksal des legendären Lakota-Kämpfers Crazy Horse. Dieser gilt noch immer als der Heilige Mann aller Indigenen Amerikas. “Er war ein Freigeist und ein Mahner für eine gerechtere Welt”, so beschreibt Maaßen ihre Faszination. Den von den Einwanderern mitgebrachten Lebensstil habe er als Rückschritt gesehen und deren Raubbau an der Natur verurteilt. Auch sein integres Wesen, seine tiefe Gottverbundenheit und die Bereitschaft, sein Leben für sein Volk zu geben, hätten sie angesprochen.
Neugierig geworden, sei sie immer tiefer in dessen Leben und die Geschichte der Indigenen eingetaucht: “Crazy Horse wurde mein Lebensprojekt”. Eine Rolle mag auch ein Traum gespielt haben, in dem Maaßen einen verwundeten Mann mit langen, blonden Haaren sah. Erst später habe sie bei Recherchen herausgefunden, dass der Krieger “Narben an genau den Stellen trug, die ich im Traum gesehen hatte”. Auch dass Crazy Horse blond war, sollte sie später belegen können. Für die Autodidaktin ist dieser Traum im Sinne der indigenen Spiritualität ein “Calling”, also eine Berufung.
Und so ließ sich die frühere Justizbeamtin in den 1980er und 90er Jahren mehrmals beurlauben und verbrachte auch Urlaube in Nordamerika, um auf eigene Kosten weiter über das Leben des Kämpfers zu forschen. Mit Feldarbeit hielt sie sich finanziell über Wasser, suchte mühsam an Universitäten, in Archiven und Museen nach allem, was sie über Crazy Horse in Erfahrung bringen konnte. Unter dem gesichteten Material waren rund 10.000 Seiten alter Handschriften – Briefe, Militärkorrespondenz, Zeitzeugenberichte und frühe Interviews. “Ein fast unlösbares Geflecht aus widersprüchlichen Informationen”, das sie entwirren wollte.
Immer wieder lebte Maaßen bei einer Lakota-Familie – eine Zufallsbekanntschaft, als sie deren mittellose Tochter eines Nachts auf der Straße auflas und fast tausend Kilometer heim zu ihren Eltern in einem Reservat brachte. Ihr Vater war Medizinmann und lehrte die hilfsbereite Frau aus Deutschland über die Jahre die Kultur und Spiritualität der Lakota. “Näher konnte ich mit meiner Forschung gar nicht dran sein.”
Eine wichtige Rolle hätten auch ungewöhnliche Begebenheiten gespielt, erinnert sich Maaßen. Da war die Büffelherde, die an einem für Crazy Horse bedeutsamen Ort ihren Weg kreuzte, obwohl die Tiere damals als weitgehend ausgestorben galten. Oder die Begegnung mit einem Hirsch – das Tier gilt den Indigenen Nordamerikas als heilig. “Wir sind uns unnatürlich nahegekommen – das sind aus indigener Sicht niemals nur Zufallsbegegnungen.”
Von der Besucherin sei sie damals immer mehr zu einem Teil der indigenen Gemeinschaft geworden – und konnte so auch mit Nachfahren von drei Männern sprechen, die seinerzeit an der Seite von Crazy Horse gekämpft hatten. Ihr Mentor, der Medizinmann, habe ihr nach einer Zeremonie gesagt: “Crazy Horse hat dich gewählt, um seine Geschichte aufzuschreiben.”
Bei ihren Nachforschungen habe sie gemerkt, dass die Literatur über Crazy Horse “einseitig recherchiert und interessengeleitet” sei – von Indigenen wie Amerikanern. Sein Wirken, seine Persönlichkeit und die Umstände seines Todes waren für die Hobbyforscherin “ein Rätsel, das ich lösen wollte”. Heute kann sie seine auffallende Haarfarbe belegen, ebenso seine herausragende Stellung als alleiniger Kriegsherr in der Schlacht am Little Bighorn (1876) um Landnutzungs- und Siedlungsrechte. Zuletzt war sie am 155. Todestag von Crazy Horse im vergangenen Jahr an dessen Sterbeort.
Maaßen verfügt nach eigenen Worten über “ein Wissen, das es sonst wohl nirgendwo gibt”. Die umfangreichen Ergebnisse ihrer privaten Recherche hat sie schon vor Jahren in einen rund 1.000-seitigen Roman gegossen, wissenschaftlich unterfüttert mit 5.000 Fußnoten. Derzeit arbeitet sie an einer weniger umfangreichen Biografie. Im Laufe der Jahrzehnte sei ihr Leben immer mehr mit der Geschichte ihres Forschungsobjekts verschmolzen, resümiert die Chronistin. “Irgendwie sind wir nun nicht mehr zu trennen.”