Wie aus der alten Voodoo-Religion ein Touristenspektakel wird

Das westafrikanische Benin ist in Feierlaune. Rund um den 10. Januar finden Umzüge und Feste statt, um die alte Religion Voodoo zu ehren. Wie aus einem lange verpönten Brauchtum ein touristisches Großereignis wurde.

Die Vorbereitungen laufen seit Monaten. Denn am Dienstag und Mittwoch (9. / 10. Januar) richtet das westafrikanische Benin erstmals seine „Voodoo-Tage“ aus, die in Ouidah gefeiert werden. In der Stadt, 40 Kilometer westlich der Wirtschaftsmetropole Cotonou, finden sich zahlreiche kleine Voodoo-Tempel; es gibt den heiligen Wald und den Python-Tempel gegenüber der Basilika. Vom Strand von Ouidah brachen einst Sklavenboote in Richtung Amerika auf. 2021 feierten Christen dort 160 Jahre Evangelisierung.

Am 10. Januar – seit 1993 Feiertag für traditionelle Religionen – ist der hellgelbe Sandstrand allerdings schon seit einigen Jahren Hauptveranstaltungsort für alle Anhänger der alten Religion Voodoo, zu der sich heute offiziell fast zwölf Prozent der knapp 14 Millionen Einwohner bekennen. Die tatsächliche Zahl dürfte weitaus höher liegen, denn vor allem Christen in dem Land praktizieren oft beide Religionen, Voodoo jedoch im Verborgenen.

Das Wort Voodoo stammt aus der Sprache Fon und bedeutet Geist oder Gottheit. Über den Sklavenhandel gelangte die Religion bis nach Haiti. Sie ist nicht verschriftlicht; daher gibt es zahlreiche Interpretationen. Der Schöpfergott heißt Mawu-Lisa. Er ist jedoch laut der Überlieferung zu weit entfernt, um mit ihm zu kommunizieren. Deshalb nehmen Gläubige Kontakt über seine Kinder auf. Je nach Vorstellung werden sie als Heilige, Gottheiten oder göttliche Wesen bezeichnet. Vielen werden, ähnlich wie bei Schutzheiligen in der katholischen Kirche, besondere Eigenschaften zugesprochen. Der Gottheit Mamiwata werden beispielsweise Opfergaben gebracht, wenn eine Frau nicht schwanger wird. Dabei ist genau geregelt, welche Getränke welche Gottheit mag und welche Farben die Opfergaben haben müssen.

Das Interesse an der großen Feier ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Schon im vergangenen Jahr machten Regierungsvertreter bei dem Festakt das große Potenzial deutlich. Ende 2023 sagte Jean-Michel Abimbola, Minister für Kultur und Tourismus, man wolle „religiösen Tourismus rund um dieses Erbe entwickeln“. Ein breites, internationales Publikum soll angelockt sowie Kultur und Spiritualität wiederentdeckt werden.

Auch diene die Veranstaltung zum Abbau von Klischees, so der Minister. Vor allem in den USA, aber auch in Europa wird Voodoo in Hollywoodfilmen mit schwarzer Magie und mit von Nadeln durchstochenen Püppchen in Verbindung gebracht. Auch in Benin galt die Religion lange als altmodisch und rückständig, verbunden mit einer riesigen Portion Angst, dass durch Zeremonien womöglich Geister geweckt werden, die Schaden anrichten können.

Doch vor allem Touristen sind neugierig auf die traditionellen, bunten Kostüme, auf die Tänze, Instrumente und Gesänge. Die Hotels in Ouidah sind seit Wochen ausgebucht. Veranstalter organisieren komplette Reisen rund um Voodoo. Die Feierlichkeiten zum 10. Januar bieten schließlich einen seltenen Einblick. Die meisten Zeremonien finden allerdings weiter unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Rund um die „Voodoo-Tage“ wird vieles für das internationale Publikum inszeniert.

Doch auch Beniner nehmen über das Spektakel am Strand einen ersten Kontakt auf. Dazu gehört die 21-jährige Lucrece Tossou, die im vergangenen Jahr erstmals dabei war. „Ich wollte mir das unbedingt ansehen. Mit Voodoo hatte ich bisher nichts zu tun. Ich bin Christin.“ Gefallen habe ihr das Fest aber auf jeden Fall.

Seit 2017 ist das allerdings nicht mehr die einzige Großveranstaltung für Kultur und Tradition. Gefeiert wird auch eine ganze Woche in der Hauptstadt Porto Novo, wo jährlich ein Internationales Festival stattfindet – inclusive Workshops und Diskussionsabenden. Abschlussveranstaltung ist eine große Stadtparade mit Stelzenläufern und Gruppen, die alte Masken präsentieren. Die nächste Ausgabe ist im August geplant.

Nur wenigen Kilometer entfernt in Adjarra an der Grenze zu Nigeria lebt der 56-jährige Achedyi Ados, der mit alten Traditionen und vor allem Voodoo aufgewachsen ist. Er machte zunächst eine Ausbildung zum Schneider – bis ein Fa-Orakel entschied, dass er Voodoo-Priester werden solle, als Nachfolger seines Vaters. Das Fa-Orakel ist Teil der alten Religion. Dafür werden Kaurimuscheln in den Sand geworfen, die ein Bokonon, ein Medium, anschließend interpretiert.

Heute empfängt Achedyi Ados Menschen mit wichtigen Lebensfragen. Sie kommen zu ihm, wenn sie etwa Ratschläge für ihre Ehe brauchen. Er ist überzeugt: „Voodoo zeigt auch jenen den Weg, die in ihrem Beruf nicht erfolgreich sind.“ Voodoo ist für ihn vor allem eins: eine wichtige Handlungsanweisung für das eigene Leben.