„Wie auf dem Dorf“

„Wir leben hier immer noch wie auf dem Dorf“: Alexander Benedikt schaut auf den alten Dorfanger von Marzahn, unter ihm grasen Tiere, auf der kleinen Anhöhe hinter ihm erhebt sich mächtig die Bockwindmühle. Der 56-Jährige ist hier seit gut zwei Jahren der Müller von Berlin-Marzahn.

Wenn er sich umschaut, scheint es, als könne er es selbst noch nicht glauben, dass er jetzt hier sein Brot verdient. Er trägt eine weiße Zunftweste und dazu passende Hosen. Benedikt ist auf Usedom aufgewachsen. Als Erwachsener hat er sich in der Welt umgeschaut, hat in der Schweiz gearbeitet, in Liechtenstein, zuletzt lange in Norwegen. Als gelernter Fliesenleger war er auch auf Off-Shore-Plattformen im Einsatz, wie er erzählt. Von der freien Stelle des Müllers in Marzahn hat er aus dem Radio erfahren.

„Ich bin ein Handwerksmüller, kein gelernter Müller“, sagte Benedikt. Wichtig für die Stellenbesetzung sei gewesen, dass die Person handwerklich geschickt ist. „Was man nicht kann, lernt man. Wahrscheinlich werde ich bis zu meinem Lebensende lernen“, sagt er lachend und zeigt auf die Bockwindmühle.

„Es ist ein Traum, zu sehen, wie sich alles dreht.“ Angetrieben werden die Mahlwerke der sogenannten Bockwindmühle vom Wind oder aber elektrisch, falls der Wind ausbleibt.

Der Name des Mühlentyps ist dabei Programm: Das Mühlenhaus steht senkrecht auf einem einzelnen dicken Balken, dem Hausbaum, der kurz über der Erde endet. Der Hausbaum wird von einem vierfüßigen „Bock“ getragen. Dadurch kann die mehr als 14 Meter hohe Mühle um 360 Grad gedreht werden. Um die Mühle herum stehen hölzerne Poller bereit. Sie markieren den Mindestabstand, damit niemand von den rotierenden Windflügeln, Spannweite rund 20 Meter, getroffen wird.

Außerdem sind die Poller wichtig zum Bewegen des mehr als 40 Tonnen schweren Mühlenhauses. Benedikt steht dafür am Steuerrad des sogenannten Sterz oder Auslegebaums. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Mithilfe des Sterz wird das Mühlenhaus samt Flügeln in den Wind gedreht. Dazu hat er zur Verankerung eine lange Kette um einen Poller gelegt. In dessen Richtung bewegt sich jetzt der Auslegebaum.

Im Inneren des Mühlenhauses ächzt und knarrt es. Das riesige Kammrad dreht sich. Benedikt spricht vom Maschinenraum. Der Blick nach draußen zeigt in der Ferne den Berliner Fernsehturm. Allein die ausgefeilte Mechanik, um die Mühle in Bewegung zu setzen, ist beeindruckend.

Zum Erlebnis wird dann das Mahlen des Getreides. Drei Mahlwerke gibt es. Überall stehen Säcke bereit, um die verschiedenen Sorten aufzufangen: „Das Schönste ist, das Korn oben in den Trichter zu füllen und dann kommt ein Produkt raus, von dem die Leute sagen, es schmeckt.“ Benedikt träumt von einem Backhaus am Fuß des Mühlenhügels. Bis es so weit ist, backen Kinder- und Schülergruppen nahezu täglich mit dem frisch gemahlenen Mehl in einem kleinen Anbau neben dem Mühlenhaus.

Benedikt hat einige Ideen, um den Mühlenstandort neben dem idyllischen Dorfanger zu entwickeln. Unterstützt wird er vom Mühlenverein. Ohne dessen Engagement würde das Marzahner Kleinod wohl nicht so funktionieren. Heute ist es neben der Britzer Windmühle in Neukölln die zweite komplett eingerichtete und funktionsfähige Mühle in Berlin. Im kommenden Jahr feiert die Bockwindmühle ihren 30. Geburtstag.

Benedikt wirbt mit Führungen für Schulklassen und „Mühlenhochzeiten“ für Heiratswillige. Für Gastronomie auf dem Hügel fehlt es noch an einer Abwasserleitung. Regelmäßige Öffnungszeiten gibt es bislang nur am ersten Sonntag im Monat. Dann bietet der Mühlenverein Führungen an. Dabei geht es dann auch um die lange Tradition der Marzahner Mühlen. Die Erste gab es bereits 1815. Davon erzählt der kleine Mühlensteingarten. „Wichtig ist, dass wir den Mühlenberg offen halten“, sagt der Müller von Marzahn.