Wer schlimmes erlebt, braucht Gespräche

Der „Neue“ bei der Landespolizei ist ein „alter Hase“: Christian Kiesbye ist neuer Polizeiseelsorger in Schleswig-Holstein. Davor war er Oberpfarrer bei der Bundespolizei und kennt die Probleme, die der Polizeialltag mit sich bringt.

Polizisten erleben während der Dienstzeit schlimme Dinge, mit denen sie nicht allein gelassen werden dürfen. (Symbolbild)
Polizisten erleben während der Dienstzeit schlimme Dinge, mit denen sie nicht allein gelassen werden dürfen. (Symbolbild)epd/Steffen Schellhorn

Eutin. Wenn die Technik nicht sofort funktioniert, hat das manchmal Vorteile. Der neue evangelische Polizeiseelsorger in Schleswig-Holstein, Christian Kiesbye, konnte auf das Intranet der Landespolizei erst zwei Wochen nach seinem Amtsantritt zugreifen. „In der Zeit konnte ich schon Polizisten in der Liegenschaft kennenlernen und erste Seelsorgegespräche führen“, sagt der 61-jährige Pastor der Nordkirche, der sein Büro am 1. Juli auf dem Gelände der Polizeidirektion für Aus- und Fortbildung in Eutin bezogen hat.

Kiesbye war zuvor zwölf Jahre lang Oberpfarrer bei der Bundespolizei mit Sitz in Lübeck. Schon dort betreute er Polizistinnen und Polizisten, die nach belastenden Einsätzen Hilfe brauchten. Besonders berührte ihn die Nottaufe und Beerdigung eines nur eine Woche alten Säuglings eines Polizeianwärters. Auch an einen Helikopterabsturz 2016 bei Bad Bramstedt mit zwei toten Polizisten erinnert er sich genau.

Bedürfnis nach einem Gottesdienst infolge tragischer Ereignisse

Nach tragischen Ereignissen lädt Kiesbye die Betroffenen zu Gesprächen und Andachten ein. „Dann ist das Bedürfnis nach einem kurzen Gottesdienst sehr hoch“, so Kiesbye. Ansonsten spielt die Liturgie in seinem Beruf eine untergeordnete Rolle. „Zu regelmäßigen Andachten ohne besonderen Anlass würden nicht viele Polizisten kommen.“ Eine Kirche gibt es auf dem Gelände der Landespolizei nicht, wohl aber eine kleine Gedenkstätte mit einer großen Statue in Form eines Engels.

Auch bei kollegialen Konflikten versucht Kiesbye zu helfen. Die Polizei müsse straff funktionieren und sei deshalb sehr hierarchisch. „Das bringt Spannungen mit sich. Nach oben und nach unten.“ Besonders schwer seien für Polizisten außerdem Einsätze, bei denen sie ihre Dienstwaffe benutzen. „Gewalt wirkt auch auf den, der sie ausübt. Polizisten fühlen sich dann nicht als Held. Sie fühlen sich schlecht.“

Wie der Dienst einen Polizisten verändern kann

Mit einem Team aus Polizisten verantwortet Kiesbye künftig auch die berufsethische Aus- und Fortbildung der 9.000 Landespolizisten: „Polizisten brauchen eine Schwarte auf ihrer Seele, die sie im Alltag schützt.“ Seelsorger sollten die Beamten davor bewahren, dass die Schwarte zu dick wird und die Menschen darunter verrohen. Durch Seminare könnten die Polizisten herausfinden, wie der Dienst sie verändert.

Viele Polizisten litten darunter, dass sie Fälle zur Anklage bringen, die sich dann vor Gericht in Luft auflösen, so Kiesbye. Zudem gerieten sie bei Einsätzen oft in einen Zwiespalt zwischen Recht und Gerechtigkeitsgefühl. „Selbst wenn sie dieselbe Meinung haben wie etwa die Menschen auf einer Demonstration, vertreten sie als Polizisten die Rechtsordnung.“

Die Polizei verdient Seelsorge

Kiesbye ist bei Schleswig und Husum aufgewachsen und studierte nach dem Abitur evangelische Theologie in Göttingen, Wien, Marburg und Kiel. 19 Jahre lang war er Gemeindepastor, erst auf der Nordseeinsel Föhr, dann in Lübeck.

Nach zwölf Jahren bei der Bundespolizei wurde die Stelle als Seelsorger bei der Landespolizei frei. Sein Vorgänger Volker Struve war im Zuge des Polizeiskandals um die Rockeraffäre und den Rücktritt von Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) in die Schlagzeilen geraten und hat eine neue Stelle als Schulpastor übernommen.

„Ich finde, die Polizei hat eine ungemein wichtige Rolle in der Gesellschaft. Sie verdient Seelsorge“, sagt Kiesbye nachdrücklich. Er schätze es sehr, dass Polizisten in der Regel keine „Luftschnacker“ seien, sondern aufrechte Menschen mit einer handfesten, offenen Art.

Nach seiner offiziellen Einführung am 5. August in der St. Michaelis-Kirche in Eutin will er möglichst viele Dienststellen im Land besuchen. „Als Polizeiseelsorger sollte man die Menschen kennen, die man unterstützen will“, so Kiesbye. Auch das Handwerk und die Belastungen sollte man verstehen. „Dazu gehört, dass der Pastor auch mal eine Nachtschicht mitfährt.“ (epd)