Doomscrolling: Wenn schlechte Nachrichten Überhand nehmen

Schlagzeilen zu Leid und Gewalt können süchtig machen. Warum wir uns von schlechten Nachrichten angezogen fühlen – und wie wir aus dem Strudel wieder herauskommen.

Ständig sind auch schon die Jüngsten auf Social Media mit schlechten Nachrichten konfrontiert
Ständig sind auch schon die Jüngsten auf Social Media mit schlechten Nachrichten konfrontiertImago / epd-bild

Kriege, Armut, Klimakatastrophen: Täglich prasseln schlechte Nachrichten auf uns ein. Für die Gesundheit ist das belastend, viele Menschen leiden darunter. Trotzdem fällt es oft schwer, dem Sog zu entkommen. Einige fühlen sich von schlechten Meldungen sogar angezogen, besonders dann, wenn sie sich online bewegen: “Doomscrolling” bedeutet, zwanghaft übermäßig viele schlechte Nachrichten im Internet zu lesen.

Aus der Suchttherapie ist bekannt, dass schlechte Nachrichten nicht nur abhängig machen können, sondern manchmal auch zu gesundheitlichen Problemen führen. “Wir beobachten Depressionen, negative Emotionen wie Unsicherheit oder Ängste, aber auch Schlafstörungen”, sagt Niels Pruin, Suchttherapeut beim Caritasverband für die Diözese Augsburg. Nicht jeder lasse sich von schlechten Nachrichten herunterziehen. Anfällig, so Pruin, seien vor allem vulnerable Menschen, also solche, die nicht in der Lage sind, Herausforderungen aus eigener Kraft zu bewältigen, und daher unter Krisen besonders leiden.

Manche erkennen das problematische Verhalten nicht

Die Mechanismen laufen ähnlich ab wie bei anderen Suchterkrankungen: “Am Anfang eines Suchtprozesses steht immer die Belohnung”, sagt Matthias Brand, Professor für Kognitionspsychologie an der Universität Duisburg-Essen. Das Gehirn aber wolle immer mehr Belohnung, der Effekt flache ab. “Das Verhalten wird scheinbar zwanghaft und dient zunehmend der Vertreibung negativer Gefühle.”

Brand untersucht zusammen mit einem Forschungsteam, wie sich bestimmte Internetnutzungsstörungen bei Betroffenen bemerkbar machen. “Nicht alle, die das Internet so übermäßig nutzen, dass sie im Alltag Probleme dadurch erleben, haben das Gefühl, zwanghaft zu handeln”, sagt der Experte. “Manche erkennen das problematische Verhalten nicht, sondern begründen es mit Langeweile oder bagatellisieren es.”

Erregungslevel bei schlechten Nachrichten größer

Betroffenen wird ihr Verhalten deshalb oft erst dann bewusst, wenn der Leidensdruck unerträglich wird. “In meine Beratung kommen Menschen, die gerade ihre Ausbildung abgebrochen haben, keine Interessen mehr haben, Freunde verlieren oder Probleme bei der Partnersuche haben”, sagt Pruin. “Die Abhängigkeit ist oft mit Begleitstörungen verbunden.” Zu schlechten Nachrichten fühlten Menschen sich dazu oft stärker hingezogen als zu guten. “Unser Erregungslevel ist hier größer”, sagt Pruin. “Das hat mit unserem Überlebenstrieb zu tun.”

Durch Scrolling auf Nachrichtenseiten oder in Sozialen Medien nehmen die Inhalte scheinbar kein Ende. Eine Schreckensmeldung führt über Links zu weiteren verwandten Themen – und damit erneut zu grausamen Bildern. Algorithmen lassen Nutzerinnen und Nutzern immer wieder ähnliche, auf die persönlichen Interessen abgestimmte Inhalte zuspielen. Manche verlieren dabei die Kontrolle – laut aktuellem Jahrbuch der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen eine steigende Zahl von Menschen.

Was tun gegen Doomscrolling?

Ein Leben ohne Internet ist heute praktisch unmöglich. Wer sich im Netz bewegt, kann schlechten Nachrichten kaum entgehen. Was also lässt sich gegen Doomscrolling tun? Pruin rät dazu, Meldungen kritisch zu lesen und Abstand zu gewinnen. “Fokussieren Sie sich bewusst auf gute Nachrichten und fragen Sie sich: Welche Dinge haben mich heute positiv beeinflusst?”

Er empfiehlt zudem, die Smartphone-Nutzung insgesamt einzugrenzen: “Stellen Sie Push-Nachrichten aus, machen Sie für ein paar Stunden Digital Detox.” Auch marginale Einstellungen am Smartphone könnten helfen, für ein paar Stunden abstinent zu bleiben: Ein grauer Bildschirmhintergrund zum Beispiel macht das Smartphone langweiliger und wirkt weniger anziehend.

Auch Brand hält eine totale Abstinenz für unnötig. “Man muss das Internet nicht verteufeln”, sagt er. “Es geht vielmehr darum, eine Balance wiederherzustellen.” Betroffene müssen dazu lernen, Stress und Verlangen besser zu kontrollieren. “Um Internetnutzungsstörungen vorzubeugen, können Menschen lernen, Emotionen anders zu regulieren”, sagt Brand. Mit Stresssituationen können sie dann besser umgehen – und den Stream schlechter Nachrichten auch schneller wieder ausschalten.