Wenn Online-Dating zur Belastung wird

Beim Warten auf den Bus oder während einer langweiligen Konferenz: Dating-Apps gehören für viele zum Alltag. Das bleibt nicht ohne Nebenwirkungen – und die gleichen in manchen Fällen den Symptomen einer Krankheit.

Er nutze Dating-Apps konsequent so, „dass sich die Sehnsucht nie verwirklicht, aus der ich sie mal runtergeladen habe“: Das schreibt Bestseller-Autor Michael Nast in seinem Buch „Weil da irgendetwas fehlt“. Das Kapitel heißt „Tinderfrustriert“, und manche Nutzerinnen und Nutzer dürften sich in der Schilderung wiederfinden: vom „Abarbeiten“ potenzieller Kontakte über das schale Gefühl dabei bis zur Feststellung, dass der moderne Mensch an zu vielen Möglichkeiten scheitere.

Gut jede und jeder zweite Internetnutzer (51 Prozent) hat schon einmal Online-Dating genutzt, wie kürzlich eine Umfrage des Digitalverbands Bitkom ergab. 59 Prozent fällt es nach eigenen Worten leichter, digital Kontakte zu knüpfen – und ebenso viele erklären, durch Online-Dating sei es schwieriger geworden, im „realen Leben“ jemanden kennenzulernen.

Wera Aretz hat diese Haltung genauer untersucht, in einer Online-Befragung mit gut 2.600 Beteiligten. „Manche Menschen berichten von tollen Erfahrungen“, sagt die Psychologin. „Andere sagen: Ich kann nicht mehr. Ich gebe Geld aus, investiere Zeit – und bin nur erschöpft und frustriert.“

Diese Gefühle können sich laut Aretz zu einer Belastung entwickeln, die mit einem klassischen Burnout vergleichbar sei. Betroffene sagten etwa: „Seitdem ich Online-Dating ausübe, bin ich den Menschen gegenüber gleichgültig geworden. Es interessiert mich nicht wirklich, was aus diesen Kontakten wird.“ Mitunter sinke auch die Konzentration; Profile und Nachrichten würden nur flüchtig erfasst. Hochgerechnet auf die Zahl derjenigen, die entsprechende Angebote nutzten, seien zwischen 3,2 und 3,7 Millionen Menschen vom „Online-Dating-Burnout“ betroffen.

Der Unterschied zum Burnout etwa durch berufliche Überlastung: „Arbeiten muss man, mit einer gewissen Leistungsfähigkeit und für eine bestimmte Dauer. Online-Dating muss dagegen natürlich niemand betreiben.“ Zu erkennen, wann es zu viel werde, fällt allerdings nicht immer leicht – auch, weil Online-Angebote heute die Nummer Eins unter den Kennenlern-Orten seien. Und, so die Forscherin: „Wer mit viel Hoffnung und Engagement gestartet ist, Zeit und Geld investiert hat, setzt sich selbst häufig unter Erfolgsdruck.“

Manche Anbieter reagieren – und setzen bewusst auf Qualität statt Quantität. Bei der App „Once“ etwa wischt man nicht zig potenzielle Partnerinnen und Partner weiter, sondern bekommt täglich ein einziges Gegenüber vorgeschlagen. Aretz verweist zudem auf Single-Reisen, Speed-Dating oder „Match Later“, dessen Nutzerinnen und Nutzer sich bei eigens organisierten Events zunächst persönlich treffen und sich, wenn gewünscht, anschließend vernetzen können. „Das können interessante Alternativen sein.“

Bei Nutzung der verbreiteten Apps rät die Expertin ebenso, eine reale Begegnung nicht zu lange hinauszuzögern. „Gestik, Mimik, das Verhalten einer Person fehlen im schriftlichen Austausch. Das füllen wir mit unserer Fantasie.“ Je farbenfroher man sich das Wunschbild ausmale, desto enttäuschender sei es, wenn die Seifenblase doch platze. Einpreisen müsse man zudem den „Online-Enthemmungseffekt“: Dass man also emotionaler reagiere oder Kleinigkeiten wie Emojis mit mehr Bedeutung auflade, als wenn jemand leibhaftig vor einem stehe.

Im Vorteil sieht Aretz online diejenigen, die auf Fotos attraktiv wirken, die humorvoll und eloquent auftreten. Allerdings sei bei den Nutzenden von Dating-Portalen der Anteil von Personen mit ängstlich-vermeidendem Bindungsstil höher als bei denjenigen in einer Beziehung: „Diejenigen suchen zwar Nähe und Kontakt, wenn dies dann aber eintritt, können sie es nicht gut ertragen und genießen, verlassen diese Konstellation also auch schneller wieder.“

Wer wiederholt feststellt, dass die eigene Strategie nicht recht zündet, solle nicht allein den Plattformen die Schuld geben, sagt Aretz. „Sie unterstützen sicher eine gewisse Oberflächlichkeit. Aber wenn ich date, ohne mich wirklich auf jemanden einlassen zu können oder zu wollen, trage ich selbst zum Frust bei.“ Ein ähnliches Fazit zieht auch Schriftsteller Nast: „Es liegt weniger am Werkzeug an sich“, schreibt er. „Es liegt vielmehr daran, wie ich es benutze.“