Wenn ich eine Maske trage…

Früher – und ich habe das Gefühl, das ist lange her – tauchte, wenn ich das Wort „Maske“ hörte, unwillkürlich eine fröhliche Menschenmenge vor meinem geistigen Auge auf, die singend und tanzend durch die Straßen zieht, um verkleidet und maskiert Karneval oder Fasching zu feiern.

Militärpfarrerin Heike Radtke
Militärpfarrerin Heike RadtkePrivat

Manche Masken waren eher lustig, andere, insbesondere im Raum der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, sollten furchteinflößend sein. Und auch wenn es kaum mehr in unserem Bewusstsein ist, so hat das närrische Treiben einen kirchlichen Ursprung. Vor dem Beginn der strengen siebenwöchigen Fastenzeit sollte noch einmal unbeschwert und ausgelassen gefeiert werden.

Auch für Soldatinnen und Soldaten gehört die sogenannte 5. Jahreszeit einfach dazu, wie ich aus vielen Gesprächen weiß. Oder vielleicht sollte man besser sagen: gehörte dazu, denn seit Corona unser Leben bestimmt, haben wir uns alle in Maskenträger verwandelt. Machte es früher Spaß, sich hinter einer Maske zu verstecken, so ist es inzwischen zu einer lästigen, aber notwendigen Pflicht geworden. Und noch ist nicht absehbar, wann wir uns wieder unmaskiert begegnen können.

Ganz anders sein

Masken können uns, das haben uns die vergangenen zwei Jahre gezeigt, schützen. Wenn ich eine Maske trage, bin ich geschützt. Ich bin nicht so verletzbar, denn zwischen mir und der Welt ist da etwas, das Distanz­ schafft. Wenn ich eine Maske trage, bin ich nicht mehr schutzlos den Blicken anderer ausgesetzt und muss keine Angst haben, dass man meine Unsicherheit und Schwachheit sieht. Vermutlich setzen wir alle zumindest hin und wieder eine unsichtbare Maske auf. Aber was passiert, wenn sie uns zur zweiten Haut wird? Wenn sie uns nicht mehr schützt, sondern zur Lebens­lüge wird und uns gefangen hält? Wenn sie uns nicht mehr erlaubt, etwas von uns preiszugeben?

Haben wir nicht alle schon einmal die Erfahrung gemacht, ganz anders zu sein, als man uns sieht? Gar nicht so heiter und unbeschwert, sondern sorgenvoll und traurig. Gar nicht so stark und selbstbewusst, sondern unsicher und ängstlich. Aber solch eine Maske abzulegen, ist gar nicht so einfach. Und eine ehrliche Antwort auf die Frage: „Wer bin ich wirklich?“ fällt wohl keinem leicht.

Unsere Angst

Diese Frage quälte auch Dietrich Bonhoeffer, wie sein Gedicht „Wer bin ich?“ zeigt, das er während seines Gefängnisaufenthaltes verfasst hat. Bonhoeffer wusste, dass wir als Menschen meist nur das sehen, was wir vor Augen haben, und danach unsere Urteile fällen. Er vertraute aber darauf, dass Gottes Augen den Menschen hinter der Maske sehen. Dass Gott sich nicht auf den äußeren Schein verlässt, sondern unser Herz sieht. Unsere Angst, unsere Unsicherheit, unsere Schwachheit kennt. Aber er reißt uns unsere Maske, mit der wir das alles verdecken wollen, nicht herunter, sondern nimmt uns an, so wie wir sind. Oft klein, hilflos, schwach. Das alles sieht er, aber er verurteilt uns dafür nicht. Im Gegenteil. Er will uns Mut machen, dass wir selbst ganz behutsam beginnen, unsere Masken abzulegen. Er will uns frei machen, unserer Seele Flügel verleihen, dass wir Schritt für Schritt unsere selbst ­gezimmerten Gefängnisse verlassen und uns als die begegnen, die wir sind: seine geliebten Kinder.
Die Masken gegen das Coronavirus werden wir vermutlich nicht so schnell ablegen können. Die Masken aber, hinter denen wir uns verstecken und die uns zum Gefängnis werden können, sollten wir versuchen im Vertrauen auf Gottes liebevollen Blick abzulegen, damit wir uns in unserer ganzen Menschlichkeit begegnen.

Unsere Autorin
Heike Radtke ist Pfarrerin im Militärpfarramt Stadum (Schleswig-Holstein).