Wenn Gott zu Besuch kommt

Heißt den Fremden willkommen! Das fordern Altes wie Neues Testament. Denn die Begegnungen, die so entstehen, könnten Gottesbegegnungen sein

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Besuch! Das heißt: schnell noch mal die Fassade aufpolieren. Das Wohnzimmer durchsaugen, frische Gästehandtücher ins Bad und das gute Geschirr aufdecken statt der angeschlagenen Tassen, die man sonst immer nimmt.
Und wenn die Gäste eine halbe Stunde früher als geplant vor der Tür stehen? Dann gibt‘s Stress. Oder man lässt Staub Staub sein, füllt Wein in die Gläser und setzt sich in aller Ruhe zusammen in den Garten. Häufig werden das die schönsten Runden – schließlich stehen die Menschen, die da gekommen sind, im Mittelpunkt und nicht die aufgeräumte Wohnung.

Abraham als der ideal­typische Gastgeber

So versteht auch die Bibel Gastfreundschaft: als Begegnung mit den Menschen, seien sie vertraut oder fremd. Und als Begegnung mit Gott. Die schönste Erzählung von einem überraschenden Besuch steht gleich am Anfang der Bibel. Abraham zieht mit seiner Familie – besser gesagt mit seiner ganzen Sippe – und seinen Viehherden durch Kanaan. Immer wieder gibt es Streit mit den Einheimischen, denn die Nomaden sind Fremde im Land, sie werden argwöhnisch beobachtet.
Gerade ist Abraham im Hain Mamre. Dort spenden Steineichen ein wenig Schatten. Er sitzt in der Mittagshitze vor seinem Zelt und döst vor sich hin. Dass sich ihm drei Männer nähern, merkt er erst, als sie schon vor ihm stehen. Doch Abraham reagiert sofort. Er spürt, die Männer sind etwas Besonderes. Er bittet sie, im Schatten Platz zu nehmen: „Ich lasse euch Wasser bringen, damit ihr eure Füße waschen könnt und ein Stück Brot zum Essen.“ Doch bei Wasser und Brot bleibt es nicht. Sara backt Kuchen, Abraham lässt für die Gäste ein Kalb schlachten und stellt noch Butter und Milch dazu. Es ist köstlich! Erst nach dem Essen wird klar, was die Gäste wollen: Dem alten Ehepaar kündigen sie den Sohn an, den die beiden sich so lange gewünscht haben.

Wer so handelt, wird belohnt

Abraham wird zum Musterbeispiel für einen guten Gastgeber in der Bibel. Er wird dafür belohnt. „Wegen seines Glaubens und seiner Gastfreundschaft wurde ihm im Alter ein Sohn geschenkt“, wird später der Kirchenvater Clemens (um 100 nach Christus) schreiben.
Natürlich, gutes Essen allein macht noch keinen guten Gastgeber aus. Aber gerade für einen Nomaden ist wichtig, das Beste, was er hat, anzubieten. Zuerst Brot und Wasser, dann ein Festmahl. Im Neuen Testament wird das gemeinsame Feiern dann auch eine entscheidende Rolle spielen.
Im Alten wie im Neuen Testament sind Besuche als Gottesbegegnungen angelegt. Dabei geht es nicht nur um Essen und Trinken, denn eine Mahlzeit stiftet Gemeinschaft, im besten Fall eine geistliche Gemeinschaft. Im Alten Orient gehört in jener Zeit Unterkunft und Verpflegung dazu sowie der Schutz vor Feinden.

Der Fremde steht unter besonderem Schutz

Unter einen besonderen Schutz sind im Alten Testament so genannte „Fremdlinge“ gestellt. Sie sind keine Touristen oder Gastarbeiter, sondern Flüchtlinge. Hier geht es nicht nur darum, ihnen ein Dach über dem Kopf oder genug zu essen zu geben. Hier geht es auch um Integration.
Dazu gehört, dass die Fremdlinge nicht ausgebeutet werden dürfen, sondern entlohnt werden müssen. Dazu gehören auch Akte der Barmherzigkeit: etwa auf den Feldern Getreide stehen zu lassen, damit sich die Bedürftigen mit dem Notwendigsten versorgen können. Gott begründet diese Akte der Barmherzigkeit so: „Du sollst daran denken, dass du Knecht in Ägyptenland gewesen bist. Darum gebiete ich dir, dass du solches tust.“

Die Ausgegrenzten sind besonders gastfreundlich

Immer wieder sind es in der Bibel ausgerechnet die Ausgegrenzten, die die Gastfreundschaft ernst nehmen; ausgerechnet die, die unmoralisch leben und denen nichts Gutes zugetraut wird. Die Prostituierte Rahab etwa versteckt in ihrem Haus zwei Kundschafter, die Josua geschickt hat. Sie vertraut ihnen blind: „Ich weiß, dass der Herr euch das Land gegeben hat.“
Auch Jesus besucht ausgerechnet die, die am Rande der Gesellschaft stehen: den Zöllner, die Sünderin. Und häufig kommt es während dieser Besuche zu besonders anrührenden Begegnungen.
In der Begegnung mit Jesus gesteht der Zöllner Zachäus seine kriminellen Machenschaften ein. Jesus vergibt ihm: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams.“ Ähnliches erlebt die namenlose Frau, die als Sünderin bezeichnet wird und Jesus im Haus eines Pharisäers die Füße mit ihren Tränen wäscht. Der Pharisäer ist entsetzt. Doch die Frau hat alles richtig gemacht. Jesus sagt: „Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt.“ Und der Pharisäer erhält gleich noch eine Lektion in Gastfreundschaft: „Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese Frau aber hat meine Füße mit Tränen genetzt und mit ihren Haaren getrocknet.“
Gute Gastgeberinnen sind die Schwestern Maria und Marta. Die eine hört Jesus zu, die andere kocht und backt. Marta ist wütend, weil Maria ihr nicht hilft. Und Jesus sagt dann den verstörenden Satz: „Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“ Zur Einkehr gehört eben beides: Leib und Seele sollen es sich gut gehen lassen.

Ein freier Platz für „den Herrn Jesus“

Im Abendmahl ist Jesus Gastgeber, der das Weitergeben von Brot und Wein zum Symbol seines Erlösungshandelns macht und dadurch Gemeinschaft stiftet. Dieses gemeinsame Mahl wurde zum zentralen Sakrament des Christentums; zum Ort der Begegnung von Menschen untereinander und mit Gott.
Heute noch wird in manchen frommen Familien beim Essen ein Gedeck mehr aufgelegt: der „Platz für den Herrn Jesus“ – oder für einen unerwarteten Gast, in dem Gott zu Besuch kommt. Das ist eine schöne Geste. Sie signalisiert: Wir sind immer bereit, Gott bei uns aufzunehmen. Und umgekehrt: Wir warten darauf, dass er zu uns kommt und bei uns bleibt.