Ökologie gegen Ökonomie? Wirtschaftsfläche oder Wildnis? In einer bundesweit einzigartigen Forschungsgruppe befassen sich Freiburger Wissenschaftler mit der Wald-Mensch-Beziehung. Im Herbst startet die nächste Studie.
Was ist der deutsche Wald? Wildnis, Wirtschaftsfaktor oder Wanderparadies? Oder nur eine Projektionsfläche für die eigenen Sehnsüchte? “Wir wollen verstehen, was der Wald Menschen bedeutet. Wofür sie ihn schätzen. Und was die Klimawandel-Gefahr mit Wald und Mensch macht.” So fasst die Soziologin Carolin Maier die Arbeit einer besonderen Abteilung an der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg in Freiburg zusammen.
Es ist ein bundesweites Pilotprojekt, bei dem ein Team von rund 30 Sozial- und Geisteswissenschaftlern untersucht, was der Wald mit den Menschen macht und umgekehrt. Im Zusammenspiel mit Forstwirten, Biologen und Ökonomen.
Birte Hadeler betreut das Projekt “Mensch-Wald-Monitor”, das seit 2020 in repräsentativen Umfragen für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nach der Nutzung der Wälder fragt. “Etwa 40 Prozent der Menschen gehen mindestens einmal pro Woche in den Wald, zumeist für etwa eine Stunde”, erklärt die Gesundheitswissenschaftlerin.
Laut der Studie suchen 80 Prozent der Waldbesucher Naturerlebnisse und Entspannung. Ein großer Teil gibt an, den Wald bewusst alleine zu besuchen, um zur Ruhe zu kommen. Und 40 Prozent nutzen ihn als Sportplatz: vor allem zum Joggen und Mountainbiken.
Gut die Hälfte der Befragten gab an, sich “stark bis sehr stark” um das Überleben des Waldes im Klimawandel zu sorgen. “Seit dem katastrophalen Dürrejahr 2018 mit einschneidenden Schädigungen der Wälder hat das Bewusstsein für die Gefährdung der heimischen Wälder stark zugenommen”, sagt Maier.
Aktuell ist knapp ein Drittel Deutschlands bewaldet – wie lange noch, wird sich im beschleunigenden Klimawandel zeigen. Die Forstwissenschaft sucht nach Antworten, nach neuem Wassermanagement und dürreresistenten Baumarten. Noch fehlen die Langzeiterfahrungen. Es zeigt sich bereits, dass einige zunächst hoffnungsvolle neue Baumarten mittelfristig wohl doch nicht so geeignet sind. Der Waldumbau ist im vollen Gange.
Dabei setzen die Waldexperten des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums auf eine Baumartenpyramide: Auch künftig sollen demnach die heimischen Arten die breite Basis der Wälder bilden. Schon länger etablierte Gastbaumarten können in begrenzten Anteilen beigemischt werden. Und noch nicht lange in Deutschland erprobte Baumarten sollen nur die Spitze der Pyramide bilden, also nur in kleiner Zahl gepflanzt werden, wie ein Ministeriumssprecher erläutert.
“Die heimischen Haupt- und Mischbaumarten sind von äußerst großer Bedeutung, um auch anderen Organismen in Wäldern von der Bodenvegetation bis hin zu den Mikroorganismen den Anschluss an die zukünftige Waldentwicklung zu ermöglichen. Waldentwicklung im Klimawandel geht also von den natürlichen Ökosystemgrundlagen aus”, so die Ministeriumsvorgaben.
Schon jetzt zeigt sich aber bundesweit, dass es beispielsweise künftig viel weniger Fichten geben wird, die wegen Hitze und Trockenheit in großer Zahl absterben.
Doch die Forstexperten zeigen sich optimistisch, dass die Waldmanager Bedingungen für Waldökosysteme mit verschiedenen Baumarten schaffen können, die höchstwahrscheinlich mit dem zukünftigen Klima zurechtkommen werden.
Die Befragungen der Freiburger Sozialwissenschaftlerinnen zeigen dabei, dass viele Verantwortliche für das Waldmanagement wie Forstwirte, Waldarbeiter und private Waldbesitzer erheblich unter den aktuellen klimagemachten Problemen leiden. “Jahrelange oder gar über Generationen erfolgreiche Strategien für einen gesunden Wald funktionieren plötzlich nicht mehr. Die durch den Klimawandel verursachten Veränderungen lösen bei vielen eine emotional-schmerzhafte Krisenerfahrung aus”, sagt Maier. Die Waldkümmerer leiden und weinen mit dem Wald im Klimawandel.
Manuel John will Experten und Bürger in Baden-Württemberg mittels digitaler Technik ins Gespräch über die Zukunft der Wälder bringen. Dazu nutzt der Soziologe eine App, die eigentlich für die Ausbildung von Forstwirten gedacht ist. Auf ausgewählten Versuchsflächen ist jeder Waldbaum digital erfasst – auf einem Tablet lassen sich Daten über Höhe, Holzmasse, Verkaufswert und Bedeutung für Tiere und Pflanzen abrufen.
“Interessierte Bürger erhalten so einen spannenden Eindruck, dass der Wald in Deutschland eben kein unberührter, der Natur überlassener Naturraum ist, sondern seit Jahrhunderten gemanagt wird.”
Gerade bereiten die Experten die nächste Befragungsrunde des Mensch-Wald-Monitors im September vor. Erstmals gibt es dann standardisierte Fragenkataloge. Sie kommen künftig alle drei Jahre zum Einsatz, um gesellschaftliche Veränderungen bei Haltungen zum Wald im fortschreitenden Klimawandel zu analysieren.