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Wenn ein Tattoo Hoffnung schenkt – Zehn Minuten für ein Menschenleben

Sanduhr, Zwilling, DNA – aus diesen drei Symbolen setzt sich das Gratis-Tattoo zusammen, das auf Stammzellenspende aufmerksam macht. Für Tätowierer Jimmy Dean Laubinger hat es auch eine persönliche Geschichte.

“Na, wo willst du es am liebsten haben? Hier am Unterarm? Wie groß?” Der Tätowierer “Jers” Jimmy Dean Laubinger (41) sitzt neben seiner ersten Kundin an diesem Spätsommertag in seinem Tattoo-Studio in Gartlage, einem Industrieviertel in Osnabrück. Auf dem Parkplatz vor seiner Tür warten schon morgens um elf rund 150 Menschen. Sie alle sind gekommen, um eines dieser Tattoos zu bekommen: ein Zwilling-Symbol mit einer DNA-Helix in Form einer Sanduhr.

Laubinger wurde unter seinem Künstlernamen “Jers” als Tätowierer und Influencer schon 2022 über Social Media durch verschiedene Charity-Aktionen bekannt. Auf seinem YouTube-Kanal folgen ihm mehr als 110.000 Menschen. Mit “TwinWin” will er Aufmerksamkeit für Stammzellenspenden schaffen. “Die Sanduhr fand ich ein super schönes Symbol für die Spenden”, sagt Laubinger. “Weil die Empfänger sehr wenig Zeit haben.” Die Zwillinge in seinem Tattoo stehen für Knochenmarkspender und -empfänger. Welcher Spender passt, darüber entscheidet die DNA.

Inzwischen machen mehr als 260 Studios deutschlandweit bei der Aktion mit. So wie an diesem Wochenende, auf das der Internationale Stammzellenspendertag fällt. Wer sich ein Tattoo stechen lässt, kann sich vor Ort typisieren lassen.

Antje Schweiger (35) ist eine von den vielen Menschen, die zu “Jers” gekommen sind. “Seit ich 18 Jahre alt bin, hab ich einen Organspendeausweis”, sagt sie. Damals ließ sie sich auch für einen Kollegen ihrer Mutter typisieren. “Ich war schon immer ein bisschen altruistisch”, sagt sie und grinst. Auf ihrem linken Unterarm trägt sie schon ein Tattoo-Symbol für Organspenden. Acht Tattoos hat sie insgesamt auf ihrem Körper. Ein neuntes soll nun dazukommen.

Laubinger desinfiziert ihren Unterarm mit Alkohol. Dann brummt die Nadel seines Tattoogeräts über ihre Haut. “Nummer 20, Platz fünf bei Björn!” hört man vom Empfang. Für ein Tattoo plant Laubinger mindestens zehn Minuten ein, sagt er. Insgesamt gibt es bei ihm elf Tattooplätze. Bis zum Abend werden es wohl 250 Tattoos gewesen sein, vermutet Laubinger.

Vor zwei Jahren war Laubinger selbst auf der Suche nach einem Spender. Seine heute dreijährige Tochter Hailey hatte von Geburt an einen Herzfehler; das Organ war so groß wie das einer Einjährigen. Nachts konnte Haley nicht durchschlafen. Auch ihre Zunge war “irgendwie anders”, sagt Laubinger. Sie stand leicht hervor und Hailey biss sich immer wieder darauf. “Wir erlebten ein Dreivierteljahr lang einen Ärztemarathon. Wir hatten alles möglich durch: Das ging vom Physiotherapeuten bis zum Ohrenarzt.” Ohne Erfolg.

Schließlich ließen sie einen Gentest machen. Drei Tage vor dem Organspendetag kam das Ergebnis. “Im Krankenhaus sahen die Ärzte uns mit einem versteinerten Gesicht an”, sagt Laubinger. Die Diagnose: Mukopolysaccharidose (MPS) – eine seltene Erbkrankheit. Bestimmte Zuckerstoffe werden im Körper nicht richtig abgebaut und verursachen dadurch Schäden in den Organen. Die Ärzte gaben Hailey noch ein paar Jahre. Das Teenageralter würde sie wahrscheinlich nicht erleben, sagten sie. Die einzige Chance: eine Stammzellentransplantation.

“Man kann sich nicht vorstellen, was das mit einem macht”, sagt Laubinger. “Ein halbes Jahr lang war ich nicht mehr auf diesem Planeten.” Im Dezember 2023 fanden sie schließlich einen Spender. Laubinger und seine Frau begleiteten ihre Tochter ein halbes Jahr durch die vor der Transplantation notwendige Chemotherapie am Universitätsklinikum in Hamburg. Heute, so sagt er, ist Hailey ein “lautes und energiegeladenes Kind”, von der Erkrankung gebe es kaum noch Spuren.

Laut Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit standen Ende 2024 fast 8.600 Menschen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan – bei weniger als 1.000 Organspenderinnen und Organspendern. Deutschland liegt damit weit hinter anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Spanien. Bei Stammzellenspenden sieht es auf den ersten Blick deutlich besser aus: Für 2024 meldete das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland Rekordwerte; 8.349 Menschen spendeten Knochenmark. 30 Prozent aller weltweiten Entnahmen kamen aus Deutschland.

Jeder zehnte Erkrankte findet allerdings keinen passenden Spender. Laubinger sieht MPS-Patienten bei der Suche nach Stammzellenspendern außerdem bisher noch wenig beachtet. Er gründete deshalb den Verein “Stammzell-Helden”, mit dem er anderen Betroffenen bei der Suche nach Stammzellenspendern helfen möchte. “Es gibt viele Vereine für Krebs”, sagt er. “Auch Kinder mit MPS brauchen aber Stammzellen. Sie machen das Gleiche durch.”

Die Aktion will er im nächsten Jahr wiederholen, “auch um die Menschen zu informieren”, sagt er. “Früher erlag ich dem Fehlglauben, dass man mit einem Tattoo nicht mehr spenden kann.” Heute ist er selbst registriert als Spender, hat auch einen Organspendeausweis. Und ein Tattoo auf seinem linken Unterarm: ein Zwilling-Symbol mit einer DNA-Helix.