Wenn eigene Gefühle zurückstehen müssen
Nach einem Unfall benötigen Opfer und Angehörige Hilfe. Sie kommt von Michael Hinzmann-Schwan. Ein Porträt des Kieler Notfallseelsorgers.
Kiel. Menschen zuzuhören, sie verstehen zu wollen und für sie mitzudenken, das macht einen guten Seelsorger aus. In besonders schwierigen Situationen muss er zudem in der Lage sein, selbst „nichts zu empfinden, sondern nur zu funktionieren“ – so beschreibt Michael Hinzmann-Schwan seinen langjährigen Dienst als Notfallseelsorger.
Wenn der Pieper ein Signal sendet, muss es meist schnell gehen. Dann bekommt der 60-Jährige nur eine kurze Mitteilung, was ihn erwartet, und wird von einem ehrenamtlichen Fahrer des Kieler Teams der Krisenintervention / Notfallseelsorge, kurz KIT-NFS-Team, abgeholt. Dahinter steckt eine mehr als zehn Jahre währende Kooperation von Hilfsorganisationen der evangelischen und katholischen Kirche. Die Alarmierung erfolgt über die Rettungsleitstelle, das Fahrzeug wird von der Berufsfeuerwehr und der Stadt zur Verfügung gestellt. „Das sind optimale Bedingungen. Prima ist, dass fast alle meine Kollegen mitmachen und jeder das gibt, was er kann“, so Hinzmann-Schwan.
Eine Stunde lang geschwiegen
Je zwei Seelsorger haben in der Woche Dienst. Es gibt durchschnittlich zwei Einsätze in der Woche, zwei bis drei Stunden lang. „Häufig kommt es vor, dass eine ältere Frau neben ihrem in der Nacht verstorbenen Mann aufwacht“, berichtet er. Manchmal geht es um einen Suizid oder Unfall und die Überbringung der Todesnachricht. „Während die Polizei die Familie informiert, halten wir uns im Hintergrund und gucken dann, wie wir helfen können, denn der Umgang mit Trauer ist sehr unterschiedlich“, erklärt der Pastor. In erster Linie geht es darum zuzuhören, beizustehen und zu erklären, was geschehen ist. Bei einer Familie wurde einmal über eine Stunde lang geschwiegen, auch das muss ein Seelsorger aushalten können.
Hinzmann-Schwan verfügt über viel Erfahrung: Der Duisburger hat Theologie, „ein bisschen Psychologie, Pädagogik und Kunstgeschichte“ in Heidelberg, Kiel und Tübingen studiert. Nach der ersten Pastorenstelle am Bodensee zog es ihn 1991 mit seiner Frau gen Norden. Es folgten 14 Jahre als Gemeindepastor, Notfall- und Krankenhausseelsorger in Leck im Kirchenkreis Nordfriesland sowie drei Jahre in Alt Duvenstedt im Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde. Er absolvierte als Seelsorger diverse Fortbildungen an der Feuerwehrschule Harrislee. Seit 2008 ist er nun Pastor und mit einer Viertelstelle Koordinator für die Notfallseelsorge in Kiel.
"Du hast geholfen"
Bei Einsätzen sei vor allem wichtig, die eigenen Gefühle beiseitezunehmen. „Man muss immer auf sich selbst aufpassen, damit man in der Situation und auch später handlungsfähig bleibt“, betont er. So wie am 7. Dezember dieses Jahres, als er mit sechs Pastoren in Kronshagen im Einsatz war, als ein Mann seine 38 Jahre alte Frau auf der Straße mit brennbarer Flüssigkeit anzündete. Fünf Stunden lang wurden Zeugen und Beteiligte, die versucht haben, die Frau zu retten, von dem KIT-NFS-Team betreut. Vom Jugendamt wurde eine seiner Kolleginnen angefordert, die den beiden kleinen Kindern des Opfers und Täters die Todesnachricht überbringen musste. In der Klinik nahe des Tatorts wurde ein Raum für sie zur Verfügung gestellt. „Es wurde dort viel geweint und geredet. Sie haben versucht, das Feuer zu löschen, und hatten Angst, weil der Mann wiederkam und die Frau ein zweites Mal anzündete“, beschreibt Hinzmann-Schwan. Ein Horrorszenario. Dann versucht er, diese Bilder mit positiven Gedanken zu besetzen, indem er sagt: „Du hast das Richtige gemacht, du hast geholfen.“
Als Notfallseelsorger hat Hinzmann-Schwan vor allem gelernt, wie wichtig es ist, zuzuhören und nachzufragen. Das gelte für alle Menschen, so der Pastor: „Wir lassen Leute viel zu oft allein. Das Schlimmste ist, nichts zu tun. Dem Leben wieder Raum zu schaffen – vor allem dafür sind wir Notfallseelsorger da“.