Wenn die Robben schweigen

Die Robben in der Antarktis sind auf Meereis angewiesen, um darauf ihre Jungtiere zu gebären und zu säugen. Wenn das Eis immer weiter zurückgeht, hat das für die Tiere dramatische Folgen.

Auf Eis-Schollen ziehen Robben ihren Nachwuchs groß
Auf Eis-Schollen ziehen Robben ihren Nachwuchs großImago / Robert Harding

Normalerweise sind Robben ausgesprochen kommunikative Tiere – und das aus ganz unterschiedlichen Gründen. Unter Wasser sind ihre Rufe weit zu hören, wenn beispielsweise die Männchen ihr Territorium abstecken und Artgenossen abschrecken. Aber auch während der Paarungszeit und schlicht im „Gespräch“ in der Gruppe kann es laut zugehen, etwa, um Weibchen anzulocken oder um die Position im Rudel zu markieren. Doch nun haben Wissenschaftler in der Antarktis festgestellt: Wenn das Meereis verschwindet, verstummen die Robben.

Mehrere Jahre lang hat ein Forschungsteam des Bremerhavener Alfred-Wegener-Institutes (AWI) für Polar- und Meeresforschung am Rande der Antarktis mit Unterwassermikrofonen nach Robben gelauscht. Weil Geräusche im Wasser weiter wandern als in der Luft, können Meerestiere je nach Lautstärke ihrer Rufe noch aus vielen Kilometern Entfernung wahrgenommen werden. Auf ihrem Horchposten haben die Forschenden herausgefunden, dass der klimabedingte Rückgang des Meereises offenbar starke Auswirkungen auf das Verhalten der Tiere hat: Fehlt das Eis, ist es leise, wo das Meer sonst voller Rufe ist.

Acht Jahre lang beobachtet

Gelauscht hat eine Gruppe um die Biologin Ilse van Opzeeland, die am AWI und am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität an der Universität Oldenburg forscht. Für die Studie hat sie mit ihrem Team Tonaufnahmen aus einem Unterwassermikrofon untersucht, das automatisch die Rufe von Meeressäugern wie Robben und Walen aufzeichnet. Die Anlage wurde kürzlich zusammen mit einem abgebrochenen Gletscher von der Küste gelöst, soll aber in der kommenden Antarktissaison ab Ende des Jahres wieder ersetzt werden.

„Das Besondere an unserer Studie ist, dass wir erstmals Aufnahmen aus einem Zeitraum von acht Jahren für die vier antarktischen Robbenarten auswerten konnten“, erläutert Teamkollegin Irene Roca, die derzeit in Kanada arbeitet. Zu den Arten gehören Krabbenfresserrobben, Weddellrobben, Seeleoparden und Rossrobben. Durch die Untersuchungen über längere Zeit unweit der deutschen Antarktis-Station Neumayer III wurde es möglich, ihr Verhalten für einzelne Jahre miteinander zu vergleichen.

Immer wieder brechen in der Antarktis Eisberge ins Meer
Immer wieder brechen in der Antarktis Eisberge ins MeerImago / Blickwinkel

Aus den Daten zwischen 2007 bis 2014 sticht der Jahreswechsel 2010/2011 hervor, denn damals war das Meer fast völlig eisfrei: Weniger als zehn Prozent der üblichen Wasserfläche waren zugefroren. Wie die Aufnahmen aus den Unterwassermikrofonen zeigen, schwammen in diesem Zeitraum deutlich weniger Robben in den Gewässern als in den übrigen sieben Jahren.

„Die antarktischen Robben benötigen Meereis, um darauf die Jungtiere zu gebären und zu säugen“, erläutert Biologin Ilse van Opzeeland. Geburt und Aufzucht geschehen ihren Angaben zufolge im Frühling und Sommer der Südhalbkugel zwischen Oktober und Januar. Für gewöhnlich ist das Meer zu dieser Zeit noch zu einem großen Teil mit Eis bedeckt, sodass die Tiere ideale Bedingungen für die Geburt vorfinden. Dazu kommt ein reiches Nahrungsangebot im Wasser.

Als das Eis plötzlich fehlte

Doch in der Saison 2010/2011 fehlte das Eis im Untersuchungsgebiet etwa 2.000 Kilometer südlich von Kapstadt im sogenannten Weddellmeer fast völlig – eine beunruhigende Beobachtung für die AWI-Fachleute: Denn sollte die Meereisbedeckung mit dem Klimawandel künftig häufiger so extrem schwanken, wäre diese Region für die Robben ein weniger zuverlässiges Fortpflanzungsgebiet.

Das AWI-Meereisportal hat erst kürzlich bekannt gegeben, dass die vergangenen acht Jahre alle eine unterdurchschnittliche Meereisausdehnung in der Antarktis aufwiesen und im Februar 2023 sogar ein Allzeit-Tief erreicht wurde. „Ich vermute, dass die eisarmen Jahre bei den antarktischen Robben die Fortpflanzung beeinflussen – nicht nur, was das Überleben der Jungtiere angeht, sondern eventuell auch das Paarungsverhalten der Robben oder ganz andere Aspekte“, sagt Projektkoordinatorin Ilse van Opzeeland. Kann also sein, dass es mit fortschreitender Erderwärmung immer stiller wird im antarktischen Meer – ohne die Rufe der Robben.