Wenn die Kirche zur sterbenden Patientin wird

Es ist eine besondere Gedankenreise, auf die Referentin Emilia Handke aus der Nordkirche einlädt. Die Kirche als Palliativ-Patientin? Die Mitarbeitenden als Sterbebegleitung? Mal im Ernst!

Was wird, wenn von der Kirche nur Erinnerungen bleiben?
Was wird, wenn von der Kirche nur Erinnerungen bleiben?Imago / Martin Bäuml Fotodesign

„Die Kirche ist austherapiert.“ Und nun? Wie wäre es, dem offen da liegenden Befund von einer sterbenden Kirche nicht mehr entgegenzusteuern, sondern ihn anzunehmen – ähnlich, wie bei der Begleitung eines sterbenskranken Menschen? Radikale Akzeptanz …?

„Die Kirche ist austherapiert“

Emilia Handke ist Direktorin des Prediger- und Studienseminars der Nordkirche. In Salem auf der Mitarbeitertagung in MV in der Kinder- und Jugendarbeit (MAT) gibt sie ein theologisches Impulsreferat. Woran Kirche stirbt, fasst sie darin noch einmal eindrücklich zusammen: Austritte, Nachwuchsmangel, Überalterung, vieles mehr. Auch die Therapien betrachtet sie, die viele aktive Menschen der „Privatpatientin“ angedeihen lassen, von Krankengymnastik: „Kirche muss beweglicher werden“; bis zu Frischluftkuren: „Sie muss raus zu den Menschen.“

Emilia Handke bei hrem Vortrag
Emilia Handke bei hrem VortragChristine Senkbeil

„Und trotzdem ist es ein Kampf gegen Windmühlen“, so die Theologin. Emilia Handke ließ sich für dieses Gleichnis von Holger Pykas „Plädoyer für eine palliative Ekklesiologie“ inspirieren. „Ich wende diese Metapher für diese Situation an – denn wenn es nicht so ernst wäre, müsste man ja keine Hoffnungsmaschine anwerfen“ – zitiert sie das Motto der Tagung zum Jahresauftakt der kirchlichen Pädagoginnen und Pädagogen in MV.

Das Ende würdevoll gestalten

„Wir stehen vor dem Ende der Kirche in der vorliegenden Form, und es ist höchste Zeit, unsere Allmachtsphantasien aufzugeben.“ Das Ende würdevoll zu gestalten, darauf käme es nun an. Handke liest eine zu Herzen gehenden Geschichte eines Ehepaares vor, bei der Frau und Mann schöne letzte Wochen verleben, nachdem sie beide die Diagnose des Arztes akzeptiert haben. „Es ist nicht zu unterschätzen, wie wichtig das ist!“, sagt sie. „Und wir können als Christen doch damit rechnen, dass Gott nach Abschied und Sterben etwas Neues macht!“ Das Zweite jedoch könne erst nach dem Ersten kommen kann. Ohne Umkehr keine neue Orientierung. Ohne Sterben keine Auferstehung. Emilia Handke plädiert für eine andere Haltung und zitiert ihren Lehrer Axel Noack: „Erstmal sollten wir vor allem fröhlich kleiner werden.“

Das Niveau kirchlicher Strukturen sei noch immer sehr hoch, der Reichtum enorm: „Ich hörte, in Würtemberg gibt es einen Lama-Pastor!“, untermalt sie das Argument und fragt: „Was ist unser normativer Rahmen?“ Zur Einfachheit zurückkehren, so ihr Aufruf. In Bernitt, ihrem Heimatort, hätte es zuweilen durchs Dach geregnet. Die Christenlehre mit den schönen Geschichten aber hätte sie für ihr Leben geprägt: „Es hat nicht immer mit Geld zu tun.“

„Es erlischt ja nicht das Feuer“

Sich an den Gedanken zu gewöhnen, eben kleiner zu sein, brächte neue Spielräume, und sie liefert einige Beispiele für große Momente mit Gott, die erst nach der Sprengung des üblich etablierten Rahmens möglich wurden: der Wohnzimmergottesdienst mit 150 jungen Menschen etwa, bei dem die übliche Lithurgie praktisch ausfällt, Sofas kommen dafür rein in die Kirche, und ein Kaugummiautomat serviert gesammelte Fragen.

Während ihres Vortrags macht sie den Zuhörenden Mut, das Framing zu ändern – die Rahmenbedingungen: Weg von ausschließlich kontinuierlichen Konzepten hin zu einer Kirche der heiligen Momente. „Es beschränkt die Arbeit, aber es erlischt ja nicht das Feuer!“

„In der Kirche der Zukunft werden wir Hirten sein. Unsere Aufgabe wird dieselbe sein wie seit eh und je – die Feuer brennend zu halten. Mancherorts nur auf kleiner Flamme, an anderen Orten lodernd groß. (…) Es wird Tage geben, wo wir weitgehend alleine an den Steinen sitzen und andere Tage, wo sich die Leute um das Feuer drängen. Wie seit eh und je. Wir werden die alten Lieder singen und Wache halten an der Glut. Denn das ist unsere Aufgabe …“

„Sie hat mir Worte gegeben für das, was ich schon lange fühle“, sagt einer der Pädagogen später – und viele Gespräche auf den Fluren nach ihrem Vortrag zeigen, wie aufrüttelnd dieser theologische Impuls viele der Zuhörenden traf.