Wenn die Geburt zum Trauma wird – Betroffene erzählen

Traumatische Geburten können Frauen jahrelang verfolgen – bis in den Schlaf. Ärzte sehen das Problem, warnen aber vor Pauschalisierungen.

Die Geburt eines Kindes kann für Frauen auch traumatisch werden (Symbolbild)
Die Geburt eines Kindes kann für Frauen auch traumatisch werden (Symbolbild)Imago / Westend61

Im Untergeschoss des Berliner Sankt Joseph Krankenhaus sitzen Schwangere und Partner auf Turnmatten. Eine junge Hebamme zeigt Bilder von Geburtspositionen und beantwortet Fragen. Die Stimmung ist entspannt, etwas aufgeregt. Alle hoffen, bald ihr gesundes Kind auf dem Arm zu halten. Erschöpft, aber glücklich. Doch was, wenn die Geburt zum Horrorerlebnis wird? Wenn Ärzte, Hebammen und Pflegekräfte über den Kopf der Frauen hinweg Entscheidungen treffen, die im schlimmsten Fall bleibende Schäden hinterlassen?

Das 2022 gegründete Bündnis Gute Geburt setzt sich für eine menschenwürdige, sichere und respektvolle Geburt ein – in jedem Kreißsaal. “Die Geburt soll für die Frau ein stärkendes Erlebnis sein, die Erfahrung begleitet sie ein Leben lang”, sagt Hebamme und Bündnis-Mitglied Veronika Bujny. Doch die Wucht der Ereignisse, fehlende Betreuung oder schlimmstenfalls übergriffiges Verhalten könnten die Frau überfordern und traumatisieren. Viel zu selten gebe es Nachgespräche und Aufarbeitung, beklagt Bujny. Dabei sollte dies Standard sein.

Elternverein Mother Hood nennt erschreckende Zahlen

Je nach Studie ist von 10 bis 30 Prozent traumatischer Geburten die Rede, bei Gewalterfahrungen könnte die Quote noch höher sein. “Ausgehend von 690.000 Neugeborenen im vergangenen Jahr haben somit rund 200.000 Mütter die Geburt ihres Kindes als belastend oder traumatisch erlebt”, sagt Vereinssprecherin Katharina Desery.

Costanza ist eine von ihnen. Die Mittvierzigerin, die anonym bleiben möchte, hat vor bald drei Jahren in Berlin ihre Tochter zur Welt gebracht. Und den schrecklichsten Tag ihres Lebens erlebt. “Die Ärzte haben mir aufgrund meines Alters von Anfang an Angst gemacht”, sagt die gebürtige Italienerin. Dabei sei ihre Schwangerschaft unproblematisch gelaufen. Sie habe sich intensiv vorbereitet. “Ich fühlte mich gut.”

Dennoch sei ihr dringend zu einer frühzeitigen Einleitung geraten worden. “Es war ein ewiges Hin und Her”. Am Ende wurde mit Cytotec eingeleitet. Das durchaus umstrittene Mittel kannte sie zur Behandlung vorheriger Fehlgeburten – von möglichen Nebenwirkungen wusste sie damals nichts.

“Das Kind wird schon nicht rausrutschen”

Nach anfänglichem Warten folgte ein Wehensturm – pausenlos Wehen. “Doch die Kreißsäle waren belegt, man hat mich einfach wieder auf mein Zimmer geschickt, allein”, erzählt Costanza. “Das Kind wird schon nicht rausrutschen”, sei ihr zugerufen worden. Vor dem Fahrstuhl habe sie vor Schmerzen gekrümmt auf dem Boden gekauert. “Keiner tat etwas”.

Eine Hebamme legt einer jungen Patientin den Wehenschreiber an (Archivbild)
Eine Hebamme legt einer jungen Patientin den Wehenschreiber an (Archivbild)epd-bild / Werner Krueper

Im Kreißsaal wurde es nicht besser, auch wenn mittlerweile ihre Dula – eine Geburtsbegleiterin – dabei war. Ihr Mann blieb in der Nähe, wartete darauf, mit der Dula den Platz tauschen zu können. Mehr als eine Begleitperson war nicht erlaubt. “Mir wurde ständig etwas gespritzt, ohne große Aufklärung”, sagt Costanza. Stundenlang seien durch die Vagina die Herztöne des Babys gemessen worden. “Es war unglaublich schmerzhaft.”

OP-Fehler bei Notkaiserschnitt

Irgendwann wurden diese Töne schlechter. Dann ging es schnell. Per Notkaiserschnitt kam ihre Tochter zur Welt. Costanza verlor viel Blut. “Ich konnte meine Tochter nach der Geburt nicht halten, so haben meine Arme gezittert”, erinnert sie sich. In einem Nebenraum habe sie ihren Mann sehen dürfen. Einen Moment waren sie zu dritt einfach glücklich.

“Irgendwann kam die Ärztin und sagte mir, ich solle in die Radiologie.” Und sie sagte etwas von einem fehlenden OP-Tuch. Es folgte ein Martyrium, erzählt Costanza. Und miserable Kommunikation der Klinik. Das OP-Tuch wurde in einer weiteren OP – 24 Stunden später – entfernt. “Der schlimmste Tag meines Lebens”, sagt sie. Ihr Bauch sei wie durchwühlt worden.

Zu Hause habe sich die Narbe entzündet, sie musste Antibiotika nehmen. Fünf Monate später öffnete sich ein Teil der Narbe. Eine weitere OP war nötig. Letztlich wurde sie juristisch aktiv. Außergerichtlich einigte sie sich mit dem Krankenhaus auf eine Entschädigung von 10.000 Euro. “Ich wollte keine ewige Klagerei”, sagt Costanza.

Lange hätten sie die Erlebnisse vor allem in der Partnerschaft und ihrer Sexualität beschäftigt. Ihr Körper sei sichtlich gezeichnet von der Geburt. Sie habe Selbstvertrauen verloren. “Ich habe euch vertraut und ihr habt mich und meine Tochter nicht gut behandelt”, sagt sie, wenn sie an die Zeit in der Klinik zurückdenkt.

Frauen sollten offen über Erfahrungen sprechen

Michael Abou-Dakn findet es gut, dass betroffene Frauen offen über ihre Erfahrungen sprechen. Der Chefarzt der Frauenklinik im Sankt Joseph Krankenhaus sieht weltweit ein wachsendes Bewusstsein für das Thema der Respektlosigkeit oder Gewalt während der Geburt – etwa durch fehlende Aufklärung, nicht notwendige Eingriffe, aber auch schlechte Kommunikation. “Dass dies ein wichtiges Thema ist, haben alle Beteiligten verstanden”, sagt Abou-Dakn.

Kaiserschnittgeburt im KreissaalKaisergeburt im Uniklinikum Essen *** NUR FUeR REDAKTIONELLE ZWECKE *** EDITORIAL USE ONLY ***Kaiserschnittgeburt im Kreissaal am Mittwoch 26.01.2022 in der Frauenklinik des Uniklinikums in Essen. Deutschland NRW Essen Copyright: JakobxStudnar *** emperor birth at University Hospital Food *** ONLY FOR EDITORIAL PURPOSE *** EDITORIAL USE ONLY *** P cesarean birth at delivery room on Wednesday 26 01 2022 in the Women s Hospital of Uniklinikums in Food Germany NRW Food Copyright JakobxStudnar Copyright: JakobxStudnar doc7jh8p4cwbvl3qrryi0e EDITORIAL USE ONLY

In der katholischen Klinik kommen jährlich mehr als 4.000 Kinder zur Welt. “Als christliches Krankenhaus stehen wir für ein Menschenbild, bei dem jeder Mensch gesehen und respektiert wird.” Die mit 30 Prozent angegebene Anzahl betroffener Frauen kann Abou-Dakn, der auch Vorsitzender der Arbeitsgruppe der Geburtshilfe in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist, weder aus eigener Erfahrung noch aus nationalen Studien nachvollziehen.

Aber es brauche im Kreißsaal eine besonders hohe Sensibilität – und auch den Blick auf frühere Traumata. “Eine Geburt kann Verletzungen und Traumata etwa sexueller Art wieder bewusst machen”, sagt Abou-Dakn. Auf solche besonderen, individuellen Aspekte müssten Ärzte, Hebammen und Pflegekräfte eingehen.

Leider sei die Belegschaft bei nicht ausreichender Finanzierung und dünner Personaldecke gelegentlich überfordert und daher manchmal nicht feinfühlig genug, räumt Abou-Dakn ein. “Wir brauchen mehr Zeit und mehr Geduld für die werdenden Mütter und ihr Kind.” Aber auch Hebammen, Pflegekräfte und das ärztliche Personal litten unter mangelndem Respekt, würden attackiert. “Wir brauchen mehr Respekt auf beiden Seiten.”

Nach Abou-Dakns Ansicht gelingt es bereits häufiger, Frauen und Paare während der Geburt besser einzubeziehen und notwendige Eingriffe auf wissenschaftlich fundierten Überlegungen gut zu begründen. “Meiner Erfahrung nach sind es weniger die Eingriffe während der Geburt, als die fehlende Information und Einbindung, welche die Frauen schockieren und Grund sind für ihre Unzufriedenheit”, sagt der Chefarzt.

Traumatische Erlebnisse machen fassungslos

Marianne A., Ende 30, wünscht sich nicht nur besser geschultes und empathischeres Personal. Sie erwartet EU-Richtlinien, wie mit physischer oder psychischer Gewalt unter der Geburt und den Folgen umgegangen wird. Sie hat in Berlin zwei Kinder zur Welt gebracht. Beide Geburten empfand sie als traumatisch. Nach der Erfahrung eines Notkaiserschnitts habe sie extra das Krankenhaus gewechselt.

Die zweite Geburt, ein geplanter Kaiserschnitt, sei schlimmer gewesen. Der Chefarzt, der sie operieren sollte, übernahm eine andere Geburt, da ihre Akte verschlampt worden sei. Andere Ärzte und Pflegekräfte hätten sie vernachlässigt, ihre Schmerzen ignoriert, sie in Gefahr gebracht.

Ein 13 Zentimeter großes Hämatom, ein Bluterguss, der sich nach dem Kaiserschnitt bildete, sei erst nach Tagen diagnostiziert worden. Ebenso ihr viel zu hoher Blutdruck. Es habe Monate gedauert, bis die körperlichen und seelischen Wunden zu heilen begannen, sagt Marianne. Beendet sei der Heilungsprozess auch zwei Jahre danach lange nicht.

“Dem Personal fehlt die Empathie, die Menschlichkeit”, sagt sie. Es sei überlastet und überfordert gewesen, habe keine Zeit und keinen Nerv gehabt, sich wirklich zu kümmern. Marianne hat dem Chefarzt einen Brief geschrieben, ein Gespräch geführt und ihren Fall geschildert. Er nannte unzählige Probleme, wie sie berichtet – fehlendes und untalentiertes Personal, fehlende finanzielle Ausstattung, falsche Auswahlkriterien bei der Stellenbesetzung. Und auch, dass ihr Kaiserschnitt an einem Freitag stattfand und am Wochenende die Personaldecke dünner sei. Fassungslosigkeit schwingt in ihrer Stimme mit.

Costanza und Marianne hoffen, dass werdenden Müttern nicht Ähnliches widerfährt wie ihnen. Bei ihr sei es zu spät, aber vielleicht bringe ihre Offenheit einer Noch-Schwangeren etwas, sagt Marianne. “Keine Mutter sollte eine traumatische Geburt erleben müssen.”