Wo die Engel im Flüchtlingscamp auftauchen

Statt das Krippenspiel in der Kirche aufzuführen, hat eine Gemeinde einen Youtube-Film gedreht. Das Geschehen spielt in der heutigen Zeit, sodass Maria und Josef Probleme mit dem Beherbergungsverbot bekommen.

Bei den Dreharbeiten: Judith Doß und Tobias Weichler sind als Maria und Josef im Schlauchboot geflohen
Bei den Dreharbeiten: Judith Doß und Tobias Weichler sind als Maria und Josef im Schlauchboot geflohenNicole Kiesewetter

Neubrandenburg. Ein Schlauchboot nähert sich dem Ufer. Menschen in Rettungswesten und warmen Kleidern sitzen schweigend im Boot. Wenig später springen sie ans Ufer, und eine schwangere Frau fragt: „Josef, wo hast Du mich hingebracht? „Maria, wir haben es fast geschafft. Hier lassen wir uns registrieren. Dann suchen wir uns eine Unterkunft“, antwortet der Mann mit dem Hut und dem Smartphone in der Hand.

Was da an diesem kalten Sonnabend am Tollensesee im mecklenburgischen Neubrandenburg in den Kasten soll, ist die erste Szene einer professionellen Verfilmung des weihnachtlichen Krippenspiels: „Wir haben schon im Herbst überlegt: Was machen wir, wenn Weihnachten wegen der Corona-Pandemie kein Krippenspiel aufgeführt werden kann“, erzählt Pastorin Christina Jonassen von der Neubrandenburger Johannisgemeinde. Und so sei sie gemeinsam mit ihrem Kollegen, Pastor Martin Doß aus der benachbarten Kirchengemeinde Staven, auf die Idee gekommen, das Krippenspiel zu verfilmen.

Ein moderner Klassiker

„Das kann dann in Altenheimen und Schulen gezeigt werden, und jeder kann es sich privat auf Youtube anschauen“, erklärt Jonassen die Idee dahinter. Denn Weihnachten ohne Krippenspiel, „das geht doch irgendwie nicht“. Die rund 30 mitwirkenden Jugendlichen sind Konfirmanden, Mitglieder der Jungen Gemeinde und des Jugendtheaters Roggenhagen. Der rund 20 Minuten lange Film wurde an verschiedenen Orten in Neubrandenburg aufgenommen und spielt in der heutigen Zeit.

Das Drehbuch hat Martin Doß selbst verfasst: „Bevor ich mit dem Schreiben begonnen habe, haben wir unter den Jugendlichen eine Umfrage gemacht: Was verbindet ihr mit Weihnachten? Wo müssten die Engel heute auftauchen und verkünden: Der Retter ist da?“ Die Engel sollten den Kranken, Obdachlosen und Menschen in Flüchtlingslagern erscheinen, war die einhellige Meinung. „Da war klar, der Film muss eine moderne Form des Altbekannten werden.“

Unterstützung für eine professionelle Umsetzung der Idee kam von der Neubrandenburger Medienwerkstatt Latücht. Dafür gaben die mecklenburgische Stiftung „Lebendige Kirche“ 3.000 Euro und der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte 1.500 Euro.. Für den Dreh wurden Partner gefunden, die ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellten: ein türkischer Grill, eine Arztpraxis und ein Bekleidungsgeschäft.

Wo Neubrandenburg wie Hollywood ist

Maria und Josef als Asylbewerber-Paar, das überall die soziale Kälte der Gesellschaft zu spüren bekommt und keine Herberge findet, weil es wegen der Corona-Pandemie ein Beherbergungsverbot gibt – die Verfilmung der traditionsreichen Geschichte ist im 21. Jahrhundert angekommen. „Es hat Spaß gemacht, aber vier Wochenenden hintereinander – das ist auch anstrengend“, resümieren die 15-jährige Judith Doß und der 13-jährige Tobias Weichler als Maria und Josef die Mitarbeit an dem ungewöhnlichen Projekt.

„Was die Jugendlichen gelernt haben: Film heißt warten – das ist in Neubrandenburg nicht anders als in Hollywood“, sagt Pastorin Christina Jonassen amüsiert. Mittlerweile sei „alles im Kasten, und es ist super geworden“. (epd)