Wenn Ängste den Alltag zerrütten

Herzrasen, Schweißausbrüche, Schockstarre – Angst hat viele Gesichter und belastet viele Menschen. Der Autor Thorsten Glotzmann vergleicht sie mit einem Gift. Mediziner werben für einen offenen Umgang mit dem Thema.

„Eine plötzliche Beklemmung in der Brust, ein flaues Gefühl im Magen. Enge, Dunkelheit. Panik.“ So schildert Thorsten Glotzmann seine Angstzustände – die ihm „aufgelauert“ hätten wie aus dem Nichts, ohne dass der Autor hätte benennen können, was genau es sein könnte, „dieses Schlimme, das auf ihn wartete“.

Grundsätzlich ist Angst als Hinweis auf Gefahren überlebenswichtig. „Ohne die entsprechenden Signale wären wir als Spezies längst ausgestorben“, sagt der Psychotherapeut Andreas Hillert. Er ist Chefarzt und Leiter der Tagesklinik der Schön Klinik Roseneck im bayerischen Prien; sein Buch „Stark gegen Ängste“ ist soeben erschienen. Die Hoffnung, Ängste endgültig zu überwinden oder dauerhaft „herunterzuregulieren“, sei unrealistisch.

In der Gesellschaft hätten Ängste derzeit Konjunktur, fügt Hillert hinzu. Dabei helfe es auch etwa beim Umgang mit dem Klimawandel nicht, in Panik oder Schockstarre zu verfallen. Auf individueller Ebene zählen Angststörungen hierzulande zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, neben Depressionen und Sucht; weltweit sind Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Doch wo endet die „gesunde“ Angst, wo beginnt die Störung? Problematisch wird es laut Hillert, wenn die Situation dem Angsterleben nicht entspricht – das ist etwa bei Phobien oder Panikstörungen der Fall.

Die Psychologin Franca Cerutti nennt folgende Anhaltspunkte für eine erste Einschätzung, ob die eigene Angst problematisch sein könnte: Sie tritt im Vergleich zu anderen Menschen besonders oft auf, sie steht gedanklich und im Verhalten oft im Vordergrund, sie braucht nicht immer einen rationalen Anlass und hält Betroffene von Dingen ab, die sie gern tun würden. Letzteres kann sich unterschiedlich auswirken: Während jemand mit einer Schlangen-Phobie den Amphibienbereich im Zoo einfach auslassen kann, wird dies bei Flugangst oder der Angst vor Zahnbehandlungen auf Dauer schwieriger.

Um handlungsfähig zu bleiben, rät Hillert, sich der Angst zu stellen. „Das klingt einfach, ist aber sehr kompliziert.“ Manche Menschen berichteten, dass sie stundenlang maximale Angst erlebten – physiologisch sei dies aber nur für Sekunden bis Minuten möglich. Cerutti betont: „Angst kann sich nicht ins Unermessliche steigern.“ Zugleich sei es wichtig, Betroffene ernstzunehmen. „Angst ist nichts ‚Eingebildetes‘ und auch keine kleine ‚Befindlichkeitsstörung‘.“ Sie könne das Leben vielmehr in ähnlicher Weise einschränken wie körperliche Erkrankungen.

Am häufigsten kommen die sogenannten spezifischen Phobien vor. Sie haben konkrete Auslöser, etwa Tiere, Naturereignisse wie Gewitter oder bestimmte Situationen wie Brücken. Betroffene sozialer Phobien sorgen sich dagegen so sehr darum, was andere von ihnen halten könnten, dass sie zwischenmenschliche Kontakte mitunter meiden. Die generalisierte Angststörung beschreibt Hillert mit „ständigen Horrorfilmen im Kopf“: Was könnte dem Partner, der eigenen Mutter, der Tochter alles passieren?

Wer unter körperlichen Auswirkungen leidet oder durch Vermeidung in der Lebensgestaltung eingeschränkt ist, kann selbst dagegen vorgehen. Das Ziel der sogenannten Exposition sei, „voll in die Angst“ zu gehen, erklärt Hillert. Wer sich etwa mit Höhenangst auf einen Turm oder mit Platzangst in einen Aufzug begebe, die Angst zulasse und dann erlebe, wie die Reaktion abklinge, schaffe sich selbst eine gute Basis: „Das Gefühl, eine schwierige Situation einmal bewältigt zu haben, kann sehr hilfreich sein.“

Dabei gehe es nicht um Gefahr im engeren Sinne, betont der Mediziner. Wichtig sei jedoch, sich nicht von der Angst abzulenken oder selbst auszutricksen, indem man etwa vorab eine Beruhigungstablette einnehme. Wer sich eine solche Konfrontation nicht vorstellen könne, dem könnten auch Techniken der Achtsamkeit helfen, etwa die Vorstellung, die eigene Angst schwimme wie ein Blatt auf einem Bach davon. „Allerdings ist man davon oft weit entfernt, wenn man vor Angst erstarrt oder panisch wird.“ Fachliche Begleitung könne ebenfalls helfen, aber: „Die meisten Betroffenen kommen gar nicht erst in ärztliche Behandlung.“