Fast eine Million Kilometer ist Gabriele Wulz in ihrer Zeit als Ulmer Prälatin im Auto unterwegs gewesen. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt sie, warum die beschlossene Abschaffung der Prälatur aus ihrer Sicht keine gute Idee ist und wie Kirche für die Menschen im Land wieder interessanter werden kann.
epd: Die württembergische Landessynode hat aus Spargründen die Prälatur Ulm gestrichen. Was hätten Sie gesagt, wenn man Sie gefragt hätte, ob in Zukunft zwei Prälaturen ausreichen?
Wulz: Dann hätte ich wohl gesagt – wobei es immer schwierig ist, sich im Blick auf die Zukunft der eigenen Stelle zu äußern -, dass man sich das gut überlegen sollte. Ich glaube, dass sich mit nur noch zwei statt der ursprünglich vorgesehenen drei Prälaturen die Architektur der Landeskirche grundlegend ändert. Durch drei Kirchenbezirke im Norden, dem Süden und dem Südosten wäre die Verbindung zwischen Region und Zentrale austariert geblieben. Alles nur zu zentralisieren, stärkt die Fliehkräfte. Davor hätte ich gewarnt. Die Prälatur Ulm hat für den ganzen oberschwäbischen Raum eine wichtige Rolle gespielt. Das einzelne Gemeindeglied spürt die Veränderung zwar nicht sofort, aber über die Zeit wird man merken, dass etwas fehlt.
epd: Was waren Ihre konkreten Aufgaben als Prälatin?
Wulz: Prälaten sind bei der Besetzung von Pfarrstellen beteiligt, führen Visitationen in den Gemeinden durch und können in Konflikten vermitteln. Sie bringen aus ihrer Kenntnis der lokalen Begebenheiten in die Ortsgemeinden einen Blick von außen ein, den die Kirchenleitung in Stuttgart allein nicht leisten kann.
epd: Wenn Sie auf Ihre 24 Jahre im Amt zurückblicken: Was bleibt Ihnen in Erinnerung?
Wulz: Ich denke sehr gerne an die Visitationen in den Dekanaten zurück, das waren extrem lehrreiche und produktive Prozesse. Auch das Reformationsjubiläum 2017 war großartig. Mit Respekt denke ich aber auch an die Verabschiedungen von Kirchengebäuden. In meiner Amtszeit wurden fünf Kirchen entwidmet. Es war mir wichtig, dass wir solche Prozesse bei allem Schmerz gut und geistlich bewältigen. Bei Konflikten war es mir wichtig, möglichst rollenklar zu agieren. Als Prälatin bin ich eben in erster Linie Kirchenleitung und nicht Seelsorgerin. Wenn diese beiden Funktionen vermischt werden, können Konflikte nicht sauber bearbeitet werden.
epd: Durch diese regionale Präsenz war Ihr Amt mit einem enormen Reiseaufwand verbunden.
Wulz: Im Schnitt waren es 36.000 Kilometer pro Jahr mit dem Auto. Über die gesamte Zeit kommt da fast eine Million Kilometer zusammen. Im Rückblick kann man sagen, dass ich rund zehn Jahre gebraucht habe, bis ich das Gefühl hatte: Okay, jetzt weiß ich Bescheid. Inzwischen kenne ich in den Gemeinden und Gremien sehr viele Menschen persönlich. Das ist über die lange Zeit gewachsen.
epd: Die Kirche verliert Mitglieder und Relevanz. Was muss sie tun, um Menschen wieder zu erreichen?
Wulz: Wenn ich die Rezepte wüsste, wäre das toll. Wie Beispiele auch aus anderen Landeskirchen zeigen, sind übergreifende Reformkonzepte keine Lösung. Ich glaube, es kommt entscheidend auf die Haltung an. Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir als Christen immer auch ein „Brief Christi“ sind. Was können die Leute an uns ablesen? Wir sollten etwas weniger maulen und uns mehr überlegen, was wir ausstrahlen. Statt zu klagen, wie wenige wir sind, sollten wir uns an denen freuen, die da sind und etwas gestalten.
epd: Blickt man auf die Äußerungen der Kirche zu gesellschaftspolitischen Fragen, hat man den Eindruck, dass der einzelne Christ eher am Rand steht.
Wulz: Das sind keine gegensätzlichen Pole. Denn der individuelle Mensch braucht für seine Religiosität eine soziale Gestalt und Struktur. Wir sind als Christen nicht wie Pioniere unterwegs, die sich mit der Machete einen Weg durch den Dschungel bahnen, sondern brauchen übergreifende Strukturen, in denen wir als Gemeinschaft unseren Glauben leben.
epd: Weniger Menschen wollen sich langfristig binden. Hat die Kirche also eine Zukunft als eine Art Eventagentur für schöne Hochzeiten und Beerdigungen?
Wulz: Da bin ich skeptisch. Kasualien sind sehr wichtig, aber es reicht nicht, nur auf Events zu setzen. Ich glaube, dass es notwendig ist, sich auch über einen längeren Zeitraum mit dem Glauben und den christlichen Inhalten zu beschäftigen. Vieles daran ist ja gar nicht schön, sondern verstörend und sperrig. Eine rein persönlich organisierte Religion wie etwa bei Events hilft angesichts der komplexen und oft auch bedrohlichen Welt nicht wirklich weiter.
epd: In Ihren vielen Predigten haben Sie immer wieder betont, dass die Kirche ein unverwechselbares biblisch fundiertes Profil braucht. Dieser Anspruch lässt sich beispielsweise in der Diakonie nur schwer umsetzen.
Wulz: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch nichtchristliche Menschen in einem kirchlichen Arbeitsfeld unterwegs sind – allerdings unter der Bedingung, dass ihnen völlig klar ist, in welchem Rahmen sie sich bewegen. Wer allerdings bewusst aus der Kirche ausgetreten ist, sich also aktiv von ihr abgewandt hat, kann meiner Überzeugung nach auch nicht mehr in der Diakonie beschäftigt sein. Wer sich für die AfD öffentlich einsetzt, muss sich entscheiden, ob er bei der AfD oder der Kirche mitmacht, da sie diametral unterschiedliche Werte haben. Beides lässt sich nicht vereinen, da sehe ich eine klare rote Linie.
epd: Sie sind bereits in eine private Wohnung umgezogen. Wie blicken Sie auf den Ruhestand?
Wulz: Ich habe noch keine wirkliche Vorstellung und auch ein bisschen Angst davor, weil ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Ich weiß nicht, wer ich bin ohne diese Aufgabe. Ich werde mich noch mal neu kennenlernen müssen. Ich habe wirklich berufsorientiert gelebt.(3143/05.12.2025)