Weil wir Beschenkte sind

Auch wenn für viele Menschen in Deutschland das Weihnachtsfest keinen religiösen Hintergrund mehr hat, möchten sie offenbar noch etwas teilen. Anke von Legat teilt ihre Gedanken dazu.

In der Weihnachtszeit spenden die Menschen besonders großzügig.
In der Weihnachtszeit spenden die Menschen besonders großzügig.TSEW

Angefangen hat es wohl mit Nikolaus. Der Bischof von Myra gilt als großer Schenker: Heimlich legte er des Nachts drei Goldklumpen ins Fenster mittelloser Schwestern, um ihnen die Heirat zu ermöglichen. Auf diese Legende bezog sich der Brauch, Kindern am 6. Dezember kleine Geschenke in die Schuhe zu füllen.

Mit der Reformation verlagerte sich das Schenken auf Weihnachten; der Nikolaus wurde vom Christkind abgelöst und der theologische Aspekt der Gaben stärker hervorgehoben: Abbilder des großen Geschenkes Gottes an die Menschheit sollten sie sein.

Teilen als Teil der Weihnachtsbräuche

Die Freude und Dankbarkeit darüber sollte mit allen gefeiert werden. Zu den Weihnachtsbräuchen gehört daher auch das Teilen: Armenhäusler bekamen ein gutes Weihnachtsessen, Knechte und Mägde wurden beschenkt, als Sternsinger verkleidete Kinder sammelten Lebensmittel. So spiegelte sich im Brauchtum die Liebe Gottes zu den Menschen in der praktizierten Nächstenliebe.

Nach und nach wurden aus den Naturalien Geldspenden, und obwohl in Deutschland inzwischen weniger als die Hälfte der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehört und die Verbundenheit mit Glaubenstraditionen rapide abnimmt, ist die Zeit vor Weihnachten bis heute die mit dem höchsten Spendenaufkommen im Jahr. Rund zwei Drittel aller Deutschen spendet in diesem Zeitraum. Findet sich darin ein Rest der alten weihnachtlichen Dankbarkeit, dass wir Beschenkte sind; dass Gott Mensch wird, „uns zugute“, wie es Paul Gerhardt dichtete? Oder sitzt das Portmonee einfach deshalb lockerer, weil Spenden steuerlich absetzbar sind und am Ende des Jahres abzusehen ist, ob Geld übrigbleibt?

Alle brauchen Solidarität

Natürlich gibt es auch noch weitere Gründe, um etwas zu spenden und vom eigenen Besitz abzugeben. Pure Freude am Schenken zum Beispiel. Andere an der Dankbarkeit über selbst Erreichtes oder Erhaltenes teilhaben zu lassen. Oder auch das Gefühl, so reich zu sein, dass man sich Wohltätigkeit leisten kann.

Psychologen und Fundraiserinnen beobachten aber, dass Menschen gerade in der Weihnachtszeit auf Bitten um Hilfe für Benachteiligte und Leidende besonders positiv reagieren. Da scheint etwas anzuklingen, das in der Gesellschaft nach wie vor tief verankert ist, trotz aller Entkirchlichung und Pluralität der Weltanschauungen: ein Wissen darum, dass jeder und jede Solidarität und Mitmenschlichkeit braucht und Menschen immer aufeinander angewiesen sind – selbst dann, wenn sie äußerlich in Wohlstand und Sicherheit leben.

Hilfsbereitschaft als ureigene Verbindung

Besonders der letzte Punkt spielt wahrscheinlich eine Rolle beim überraschend hohen Spendenaufkommen in diesem Jahr, allen Nachrichten über die Belastungen durch die Energiekrise zum Trotz: Der Krieg in der Ukraine zeigt gerade, wie zerbrechlich Sicherheiten sein können. Da schwingt neben allem Mitgefühl vielleicht auch die Hoffnung mit, dass man auch selbst Hilfe bekommen wird, wenn man einmal in Not ist. Hilfsbereitschaft als urtümliches Band, das Menschen verbindet – das ist nicht der schlechteste Weihnachtsglanz in Kälte und Dunkelheit.