Weihnachten in Tokio

Zum zweiten Mal erleben Bettina Roth-Tyburski und Marcus Tyburski Weihnachten in Japan. Das Pfarrersehepaar aus Westfalen ist im Land der aufgehenden Sonne zuhause und arbeitet in der deutschen evangelischen Kirchengemeinde Tokio-Yokohama.

„Tokio erstrahlt schon seit Anfang November in weihnachtlichem Glanz“, erzählt Marcus Tyburski. Er und seine Frau Bettina Roth-Tyburski feiern in diesem Jahr zum zweiten Mal Weihnachten in Japan. An vielen Orten der Großstadt gibt es eine Weihnachtsbeleuchtung. Auch wenn der christlich-religiöse Inhalt weggelassen wird, wünscht man sich nicht nur in Geschäften in Japan gern „Merry christmas“.

Marcus und Bettina Roth-Tyburski sind Pfarrer und Pfarrerin in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Tokio. Auch in der Advents- und Weihnachtzeit ist in Japan einiges ganz anders als im Münsterland (Gronau-Epe), wo die beiden vorher gelebt haben. Manches unterscheidet sich wiederum nicht so sehr. So haben Roth-Tyburskis einen Adventskranz wie in Deutschland auch. Aber er ist kulturell angepasst: Die vier roten Kerzen leuchten in Kerzenhaltern aus Bambusholz. „Um unser Pfarrhaus wächst der Bambus so schnell, so dass immer wieder Bambus herausgeschnitten werden muss. Da der Bambus innen hohl ist, eignet er sich wunderbar als Kerzenhalter“, erzählen die beiden.

Kulturell angepasster Adventskranz

Ein Höhepunkt in der Advents- und Weihnachtszeit ist in ihrer Gemeinde der Adventsbasar. „Der ist in der japanischen Nachbarschaft und deutschen Gemeinschaft so beliebt, das Kirchengelände ist immer voll.“ Echte Kerzen auf dem Altar oder auf dem Fensterbrett sind allerdings verboten – wegen der Erdbebengefahr. Aber zum Glück gibt es LED-Kerzen.

Die Entscheidung, für sechs Jahre nach Tokio zu gehen, traf das Paar nicht spontan. „Wir wollten immer ins Ausland, doch mit vier Kindern muss man den richtigen Zeitpunkt abwarten. Als unsere dritte Tochter ihr Abitur machte, war es soweit“, erzählt Bettina Roth-Tyburski.

Nach 14 Jahren Gemeindearbeit in Nordrhein-Westfalen arbeitet das Ehepaar nun seit gut einem Jahr in Tokio-Yokohama in der deutschen Kirchengemeinde, die aktuell rund 120 Mitglieder zählt. Von denen, so Marcus Tyburski, bleiben erfahrungsgemäß etwa 70 Prozent dauerhaft in Japan, 30 Prozent nur auf Zeit. „Wir versuchen Raum zur Begegnung zu schaffen. Wir bieten Veranstaltungen und Ausflüge an. Wobei wir feststellen, dass die Vorbehalte der Kirche gegenüber immer größer werden“, berichtet der 50-Jährige.

Nach der Dreifachkatastrophe (Erdbeben, Tsunami und Atom-Unfall) von Fukushima 2011 waren die Mitgliederzahlen damals spürbar eingebrochen, wissen die Roth-Tyburskis von ihrer Vorgängerin. Viele Familien hatten Japan Hals über Kopf verlassen. Deshalb habe man sogar mit dem Gedanken gespielt, den Gottesdienst auch für die japanische Sprache zu öffnen, dies aber wieder verworfen. „Insofern leben wir sprachlich gesehen in einer Blase, denn unsere Gottesdienste werden auf Deutsch gehalten. Andererseits gibt einem die Muttersprache eine Heimat in der Fremde.“

Ein Gefühl, das den Mitgliedern wichtig zu sein scheint. Etwa ein Viertel von ihnen nimmt Anfahrtswege von ein bis zwei Stunden in Kauf, um den Gottesdienst zu besuchen. Wie alle Auslandsgemeinden finanziert sich die Kreuzkirche in Tokio eigenständig. Auch die Gehälter der Roth-Tyburskis werden durch Spenden der Mitglieder bezahlt. „Das Zentrum unserer Arbeit sind die Gottesdienste und der Unterricht an der deutschen Schule in Yokohama, die unser Sohn besucht und an der ich Religionsunterricht gebe“, berichtet Bettina Roth-Tyburski.

Der Arbeitsalltag des Pfarrehepaars umfasst mehr als nur Gottesdienste und den Schulunterricht. Einmal wurden sie von der deutschen Botschaft um Hilfe gebeten, erzählt Bettina Roth-Tyburski. „Wenn deutschsprachige Touristen in Japan erkranken und begleitet werden sollen, dann sind wir da und kümmern uns etwa während eines Krankenhausaufenthaltes um Patienten und Angehörige.“ Und als kürzlich sechs Leute einer Pfadfindergruppe aus Hamburg auftauchten und am Gottesdienst mitwirken wollten, durften sie in der Kirche übernachten. Anfragen für Taufen, Beerdigungen oder Hochzeiten hatten die Roth-Tyburskis noch nicht, dafür aber Konfirmanden. Dieses Jahr waren es drei.

Mit dem Japanisch lernen tun sie sich schwer, geben die beiden zu. Trotz eines Sprachkurses in Bochum und dann in Kobe. Inzwischen bringt sich Marcus Tyburski autodidaktisch immer wieder Wörter bei. Und freut sich dann umso mehr, wenn er den Postboten versteht. Ansonsten bleibe der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung eher die Ausnahme, bedauert der Pfarrer.

Auch wenn der direkte Kontakt zu Einheimischen noch ausbaufähig ist, gibt es Projekte, die von ihrer Gemeinde unterstützt werden. „Manche unserer Frauen kümmern sich um Obdachlose, die am Rathaus unter der Brücke in Pappkartons und Zelten versteckt und fast unsichtbar kampieren“, berichtet die Pfarrerin. „Außerdem gibt es Kontakt zu einer evangelisch-diakonischen Einrichtung für Japaner, die von einer Deutschen gegründet wurde und wo wir Altkleider hinbringen.“ Darüber hinaus würde aktuell noch das letzte Geld der 500 000 Euro verteilt, die damals nach der Tsunami-Katastrophe von Fukushima gespendet wurden.

Das Pfarrehepaar arbeitet eng mit der jüdischen und der katholischen Gemeinde und dessen Jesuitenpater zusammen. Sie organisieren regelmäßig ökumenische Gottesdienste, die im Wechsel in den jeweiligen Kirchen stattfinden. „In der Ferne rückt man auch konfessionell zusammen.“

An die häufigen Erdbeben haben sich die Roth-Tyburskis schon fast gewöhnt. „Seit wir hier wohnen, hat es schon einige Male gewackelt. Alles schwankte wie auf dem Schiff hin und her“, erzählt Bettina Roth-Tyburski. „Anfangs hat es uns sehr beschäftigt. Aber wenn man zwei, drei Erdbeben erlebt hat, tritt ein Gewöhnungseffekt ein.“ Ihr Wohnhaus und die Kirche sind erdbebensicher gebaut. Im Gegensatz zum ersten Kirchenbau von 1897, der beim großen Erdbeben von 1923 zerstört wurde.

Vorfreude auf die olympischen Spiele

Auf ein Großereignis, das seine Schatten vorauswirft, freuen sich die Roth-Tyburskis besonders: die olympischen Spiele im Sommer 2020 in Tokio. „Wir haben nicht nur Karten für die Wettkämpfe, sondern werden hoffentlich auch bei der Planung des ökumenischen Gottesdienstes im deutschen Haus beteiligt sein. Schon in Deutschland haben wir Kontakt zu Olympia-Pfarrer Thomas Weber aufgenommen, der als Seelsorger für die Sportler vor Ort sein wird und den wir bei Bedarf auch gerne unterstützen.“

Doch jetzt kommt erstmal Weihnachten. Viele heimische Traditionen führen sie in Tokio fort. Sowohl „Rudelsingen“ als auch das ökumenische Krippenspiel im Familiengottesdienst an Heiligabend gehören dazu. Ganz besonders freuen sich die Roth-Tyburskis auf den Besuch der erwachsenen Kinder in Tokio.