Was Seekisten über das Leben an Bord verraten

Historische Seekisten bergen Geheimnisse und erzählen Geschichten. Eine Ausstellung zeigt, wie sie Zeugnis für das Leben, Wohnen und Arbeiten an Bord von Frachtseglern waren.

Das Museum Schloss Schönebeck präsentiert mehr als 25 Kisten des Sammlers Peter Barrot
Das Museum Schloss Schönebeck präsentiert mehr als 25 Kisten des Sammlers Peter Barrotepd-Bild / Dieter Sell

Wer kennt es nicht, das Bild des King of Rock ’n‘ Roll: Am 1. Oktober 1958 stapft der Rekrut Elvis Presley in Uniform und lächelnd die Gangway des Truppentransporters „USS General Randall“ in Bremerhaven hinunter – bereit, seinen Militärdienst abzuleisten. Über der rechten Schulter trägt der junge GI lässig einen khakifarbenen Seesack. Das Baumwoll-Ungetüm ist ein direkter Nachfahre der Seekisten, über die wenig bekannt ist. Und doch waren sie über Jahrhunderte die wohl treuesten Begleiter der Seeleute. Und hüteten manches Geheimnis.

„Eine Seekiste war der einzige private Besitz eines Seemannes an Bord eines Schiffes“, erläutert Peter Barrot (80), der seit Jahrzehnten die hölzernen Vielzweckmöbel erforscht. Schon lange gehört er zu den Experten des Sujets, ist in Deutschland vielleicht sogar der Mann mit dem größten Fachwissen, was Seekisten angeht. Er hat dazu ein Buch geschrieben. Und im Besitz des gebürtigen Bremers sind etwa 65 Exemplare – gut zwei Dutzend davon sind bis Anfang September im Museum Schloss Schönebeck im Bremer Norden zu sehen.

Seekisten wurden „wie eine Braut gehalten“

Die meist mit einem Schloss ausgestatteten Kisten aus der Sammlung von Barrot gewähren seltene Einblicke in ein hartes Leben ohne die oft beschworene Seefahrerromantik. Sie wurden „wie eine Braut gehalten, nur, dass man sie nicht mit zur Koje nehmen konnte“, schreibt noch im Februar 1934 ein alter Seemann in einem Brief an seine Nichte Anni. „Freude und Kummer“, fährt er fort, „alles trautest Du der Seekiste an. Ach, wenn eine Seekiste reden könnte! Auf ihr sitzt Du, wenn Dich Heimweh plagt. Hier liest Du den Brief aus der Heimat.“

Es war natürlich auch der Ort, an dem die Seeleute auf großer Fahrt ihre Wertgegenstände verwahrten, verrät Onkel Fiede. Und lüftet gleich noch ein Geheimnis: „Die Kiste barg auch das Bild der Liebsten. Wenn so ein Bild eine Reise mitgemacht hatte und war nicht unter Glas, war es hinüber. Nicht vom Seewasser, sondern vom vielen Küssen.“

Kisten als private Zuflucht

So waren die Kisten nicht selten neben der Koje die einzige private Zuflucht im Gemeinschaftslogis, in dem es in den Frühzeiten der Frachtsegler weder Tische noch Bänke gab. „Der Aufbewahrungsort für das persönliche Hab und Gut, für leichte und warme Bekleidung, Seestiefel und Ölzeug“, erläutert Barrot. „Aber auch gleichzeitig Sitzmöbel, Werkbank, Essplatz – ein Stück Heimat in der Fremde.“

Seekisten waren über Jahrhunderte die treuesten Begleiter der Seeleute
Seekisten waren über Jahrhunderte die treuesten Begleiter der Seeleuteepd-Bild / Dieter Sell

Die wohl bekannteste Seekiste der Weltliteratur beschreibt der schottische Schriftsteller Robert Louis Stevenson (1850-1894) in seiner Piraten-Erzählung „Die Schatzinsel“. Es ist die Kiste eines unheimlichen Seemannes, Bill Bones, in der eine Schatzkarte liegt, Ausgangspunkt einer der berühmtesten Abenteuergeschichten.

Seekisten waren auch repräsentative Möbelstücke

Im Schloss Schönebeck ist sie nicht zu sehen, dafür aber ganz unterschiedliche Exemplare, mal schlicht gestaltet, mal üppig verziert mit Deckelbildern, Schnitzereien und kunstvoll geknoteten Handgriffen, gelegentlich mit einem Extrafach für Sextanten. Wie bei anderen Möbeln galt sozialgeschichtlich auch für die Truhen: Je höher die gesellschaftliche Stellung des Besitzers, desto repräsentativer die Kiste.

Doch egal ob schlicht oder geschmückt: In erster Linie kam es darauf an, Feuchtigkeit und das an Bord allgegenwärtige Ungeziefer von der Kleidung abzuhalten. Das Gros der Kisten kam mit grüner Farbe aus Zinkoxid und Leinöl aus, preiswert und haltbar. „Neben vielen anderen Kleinigkeiten wurde der Tabakvorrat im kleinen Seitenfach verwahrt, der Beilade“, ergänzt Barrot. „In vielen Berichten von ehemaligen Seeleuten wird auch die Bibel erwähnt, die sozusagen zur Erstausstattung eines Jungseemannes gehörte.“

Vor etwa hundert Jahren endete dann der praktische Gebrauch von Seekisten, als die größeren Dampfer mehr Platz für die Mannschaften hatten. Seesäcke und Koffer ersetzten das sperrige Holz, das in Vergessenheit geriet. Ganz zu Unrecht, findet Barrot, denn: „Der einst wichtigste Begleiter des Seemanns war mehr als nur ein simpler Behälter.“

Info
Aussstellung „Seekisten – Die Begleitung eines Seemannes auf großer Fahrt“ vom 27. Mai bis zum 3. September im Bremer Museum Schloss Schönebeck, geöffnet dienstags, mittwochs und samstags 15 Uhr bis 17 Uhr, sonntags 10.30 Uhr bis 17 Uhr.