Was für ein Gott!

Andacht über den Predigttext zum letzten Sonntag nach Epiphanias: Offenbarung 1, 9-18

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Predigttext (in Auszügen)
9 Ich war auf der Insel, die Patmos genannt wird. (…) 10 (…) Und ich hörte eine laute Stimme hinter mir, die klang wie eine Trompete. (…) 12 Ich drehte mich um, um zu sehen, wessen Stimme da mit mir redete. Und als ich mich umdrehte, sah ich sieben goldene Leuchter. 13 Und inmitten der Leuchter sah ich jemanden, der aussah wie der Menschensohn. Bekleidet war er mit einem langen Gewand und um die Brust trug er ein goldenes Band. 14 Sein Kopf und seine Haare waren strahlend weiß wie weiße Wolle oder Schnee. Seine Augen glichen lodernden Flammen. 15 Seine Füße glänzten wie glühende Bronze im Ofen, und seine Stimme klang wie das Tosen von Wassermassen. 16 In seiner rechten Hand hielt er sieben Sterne. Und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert. Sein Anblick blendete wie die Mittagssonne. 17 Als ich ihn sah, brach ich wie tot vor ihm zusammen. Er legte mir seine rechte Hand auf und sagte: „Hab keine Angst. Ich bin der Erste und der Letzte 18 und der Lebendige. Ich war tot, aber sieh doch: Ich lebe für immer und ewig. Und ich habe die Schlüssel, um das Tor des Todes und des Totenreichs aufzuschließen. (Übersetzung: Basisbibel)

Was für ein Gott! Noch klingen die Worte der Weihnachtsgeschichte leise in uns nach: Da liegt es, das neugeborene Menschenkind, in einer Futterkrippe, so zart und verletzlich. Gott hat sich ganz klein gemacht – für uns. Er sucht unsere Nähe.
Der Kontrast zum Menschensohn, den Johannes in seiner Vision sieht, könnte nicht größer sein. Er nimmt eine prächtig gekleidete Priestergestalt wahr, Kopf und Haare von strahlendem Weiß wie Schnee. Wir lesen von Augen, die wie Flammen lodern, Füßen, die wie glühende Bronze glänzen. Und dann von dem Mund, aus dem ein scharfes, zweischneidiges Schwert kommt. Johannes ringt darum, dies schier Unbeschreibliche in Worte zu fassen. Nicht weniger als acht Mal kommt ihm das kleine Wörtchen „wie“ zu Hilfe. Nur so kann er die göttliche Gestalt umschreiben, die er im Heiligen Geist sieht. Gewaltig und machtvoll erscheint Christus. Hier ist nicht mehr Bethlehem. Hier erscheint der majestätische, herrschaftlich auftretende Sohn Gottes, dem alles untertan ist. Was für ein Gott!

Die Erscheinung verunsichert nicht nur Johannes, sondern viele, die diese Verse zu Beginn der Offenbarung lesen. Ist das noch derselbe menschenfreundliche Jesus, den wir kennen?

Manch einer sieht sich durch diese extremen Bilder eher in einen Fantasyfilm versetzt als in die Gegenwart Gottes. Aber es geht hier nicht um Fantasy. In der Offenbarung begegnet uns eine Seite Gottes, die ein fremdes, ein apokalyptisches Gewand trägt. Eine andere, ferne Wirklichkeit hinter den Dingen taucht auf, die genauso Realität ist.

Natürlich tun wir uns leichter mit einem Jesus, wie er uns aus den Evangelien vertraut ist: Der Demütige und Barmherzige in Person. Unser himmlischer Bruder. Aber der Auferstandene und zum Himmel Aufgefahrene ist eben auch Weltenherrscher. Die Galaxien und unsichtbaren Welten sind ihm untertan. Jesus, das Kind, ist Hirte, Regent und Richter – zugleich.

Beim Anblick des Menschensohnes bricht der Seher wie tot zusammen. Diese direkte Nähe hält kein Mensch aus. Und es keimt eine Ahnung von Gottes Heiligkeit auf, mit der wir fremdeln. Welches ist die rechte Weise, dem Heiligen angemessen zu begegnen? Unsere Lobgesänge im Gottesdienst werden zur Anfrage: Sie mögen liturgisch korrekt sein, aber kommen sie auch aus der Tiefe unseres Herzens?
Und dann die Überraschung: Der unnahbar scheinende Christus kommt dem zerbrochenen Johannes ganz nah. Der Regent wird zum Hirten. Er legt seine rechte Hand liebevoll auf seinen Menschen und spricht ihm zu: „Hab keine Angst“ oder mit dem Luthertext: „Fürchte dich nicht“. Das klingt dann wieder ganz nach Weihnachten. Mit genau diesen Engelsworten werden Maria und später die Hirten aus ihrer Erstarrung gelöst.

Du musst nicht erschrecken, sagt Christus dem Seher. Ich bin der Lebendige und Ewige, dem Tod und Totenreich nichts anhaben können. Alle Schlüssel sind in meiner Hand.

Mögen uns diese Worte abgehoben klingen. Den Gemeinden, die Johannes im Blick hat, wohl kaum. Sie schöpfen daraus tiefen Trost, denn sie erleben gerade eine brutale Verfolgung durch den römischen Kaiser. Auch heute werden Christen bedrängt, verfolgt und getötet: In vielen Ländern der Erde. Die Welt als Apokalypse ist wieder real vorstellbar.

So kommt die Vision des Johannes uns erstaunlich nah. Die Worte des Menschensohnes können zum Anker in stürmischen Zeiten werden. Und Mutmacher für alle, die in Angst vor der Zukunft leben. Denn egal, wie wir Gott sehen oder erleben, ob als Hirten oder Regenten: Er ist gegenwärtig. Wir sind keinem Schicksal preisgegeben. Und er ist gekommen, um bei uns zu bleiben. Amen.