Was die Menschen wollen

Mit einer neuen Offenheit gehen viele Gemeinden in Niedersachsen auf die Bevölkerung zu. Sie wollen deren Erwartungen an die Kirche kennenlernen – und müssen sich manchmal Kritik anhören.

Das „Lucamobil“, ein ökumenisches Café, ist das Markenzeichen der Kirchengemeinde Hildesheim-Ochtersum
Das „Lucamobil“, ein ökumenisches Café, ist das Markenzeichen der Kirchengemeinde Hildesheim-OchtersumSandra Heiting

Hannover/Osnabrück/Heeslingen. Die Kirchengemeinde Heeslingen hat umgedacht. „Wir gehen jetzt raus und fragen die Leute, was sie sich von uns wünschen“, sagt Pastor Stefan Schneider. Bisher habe man im Kirchenvorstand viel über neue Konzepte nachgedacht und versucht, immer neue vermeintlich attraktive Angebote zu machen. An der sinkenden Zahl der Gottesdienstbesucher habe sich dadurch jedoch nichts geändert, so Schneider. Seine Konsequenz: „Wir wollen uns damit nicht abfinden und einfach so weitermachen. Wir müssen mit den Menschen wieder stärker ins Gespräch kommen. Wir müssen hinhören, was die Leute wollen.“

Mit der Initiative „Die Gemeinde hört hin“ versucht die Gemeinde bei Zeeven nun, ihrer binnenkirchlichen Perspektive zu entkommen. Mit sechs Fragen wendet sie sich an Menschen, die der Kirche gegenüber aufgeschlossen sind, deren Angebote jedoch nicht nutzen. „Mittlerweile haben wir 25 Interviews geführt“, bilanziert der 58-jährige Pastor, der seit einem Jahr in Heeslingen wirkt. Insgesamt 50 Interviews sollen es werden, hofft er.

Klare Tendenz

„Leider haben wir bisher keine konkreten Vorschläge erhalten, wie wir es uns erhofft hatten.“ Doch es zeige sich eine Tendenz. „Zehn der Befragten ist die Kirche zu traditionell, viele wünschen sich einen Aufbruch.“ Auch schmerzliche Erfahrungen mit der Kirche bringe die Befragung ans Licht. „Es gibt Verletzungen und Erinnerungen, die bis heute abschrecken.“

Einen ähnlichen Prozess will auch der Kirchenkreis Osnabrück in seinen Gemeinden anstoßen. „Wir müssen mental umschalten und aus dem ‚closed shop‘-Denken raus. Wir müssen fragen, was die Menschen brauchen“, sagt Superintendent Joachim­ Jeska und setzt deshalb auf einen Zukunftskongress mit mehr als 100 Teilnehmern im Frühherbst. Auch Engagierte von außerhalb der Kirche sollen dabei sein. Jeskas Ziel: „Wir wollen es schaffen, wieder zu wachsen.“

Meditatives Angebot entstanden

Welche Perspektiven der Blick nach draußen eröffnet, zeigt sich laut Jeska zum Beispiel in der Matthäus­gemeinde in Osnabrück, die im Anschluss an ihre Fragebogenaktion „Matthäus ist hier – was wünschst du dir?“ ein meditatives Angebot geschaffen hat. Jeska selbst sieht die Kirche als Anlaufstelle für Bürger­vereine und Menschen, die sich engagieren. „Wir können inhaltlich zusammenarbeiten.“ Die Kirche könne viele Räume anbieten. So treffe sich in der Osnabrücker St.-Marien-Gemeinde die Initiative „Fridays for Future“.

Mit Bollerwagen unterwegs

Peter Meißner von der Gemeinwesendiakonie im Haus kirchlicher Dienste in Hannover berät Gemeinden dabei, wie sie sich vor Ort einbringen können. Er unternimmt zum Beispiel Dorfspaziergänge, auf denen nach Akteuren wie Vereine und Initiativen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit Ausschau gehalten wird. „Wir überlegen, was der Ort braucht. Diese Haltung ist ein Lernprozess“, so der Diakon. Mancherorts würden Gemeindehäuser zu Begegnungszentren umgebaut, seien Gemeinden wie die in Hildesheim-Ochtersum mit einem Bollerwagen als „Ökumene-Café“ unterwegs.

In Heeslingen setzt der Perspektivwechsel Aufbruchsstimmung frei. „Mit zwei weiteren Gemeinden starten wir jetzt einen begleiteten Prozess“, sagt Pastor Schneider. „Ich bin gespannt, welche neuen Seiten der Gemeinde wir dabei entdecken.“