Was der Muttertag mit Nazis und Pazifismus zu tun hat
Mama, Mutti oder Rabenmutter: Für die Mutter gibt es viele Namen und einen Tag. Zum 100. Jubiläums des Muttertags ein Rückblick auf die komplizierte Geschichte des Ehrentages.
Mutter Erde, Mutter Natur, Mutter Gottes, Mutter aller Schlachten: Wenige Wörter sind im Deutschen derart mit Bildern und Emotionen verknüpft wie das Wort „Mutter“, einem vom Althochdeutschen „muoter“ stammenden ursprünglichen Lallwort der Kindersprache. Sogar beim Gedanken an die technisch-neutrale „Schraubenmutter“ – ein kleines metallenes Ding mit einem Loch in der Mitte – ploppen bei der Erklärung des Dudens unerwartet plastische Bilder im Kopf auf: So ist sie nach dem Vergleich mit der Gebärmutter benannt, die ein werdendes Kind umschließt.
Seit 100 Jahren wird in Deutschland der Muttertag gefeiert, immer am zweiten Sonntag im Mai. Einmal im Jahr werden Mütter beschenkt, vorzugsweise mit Blumen oder Pralinen – ein Tag, der dem Kommerz unterliegt. Erfunden hat ihn die – ledige und kinderlose – Amerikanerin Anna Marie Jarvis (1864-1948) aus Grafton im US-Bundesstaat West Virginia. Sie wollte damit ihrer Mutter ein Andenken setzen, die sich für eine bessere medizinische Versorgung von Müttern und deren Kindern sowie von Kriegsheimkehrern einsetzte.
Handel verdreht Jarvis Muttertag
Gemeinsam sollten Frauen an diesem Tag Flagge zeigen für Solidarität untereinander, soziale Dienste und gegen Kriegseinsätze. Kein Tag des Schenkens also, sondern ein Tag der Wohltätigkeit und des Pazifismus. 1908 gab es am zweiten Maisonntag den ersten Gedenkgottesdienst in Grafton zu Ehren von Annas Mutter, die zwei Jahre zuvor im Mai gestorben war. 1914 wurde der Tag in den USA als Zeichen der Verehrung der Mutter ein nationaler Feiertag.
Zum Ärger von Anna Jarvis kehrte sich aber der Ursprungsgedanke schnell um: Der Handel machte sich den Muttertag zunutze. Trotz ihrer Boykottaufrufe, die der Frauenrechtlerin gar einen Gefängnisaufenthalt einbrachten, floriert das Geschäft bis heute – auch in Deutschland. Es ist der Tag, an dem Blumenläden ihr großes Frühjahrsgeschäft machen.
Von den Nazis instrumentalisiert
Auch die Nazis instrumentalisierten den Muttertag für ihre Zwecke: Im Deutschen Reich wurde der Muttertag zu einer Feier der germanischen Rasse. Die Auszeichnung des Mutterkreuzes in Bronze, Silber oder Gold wurde nach Anzahl der reinrassigen Kinder am Muttertag verliehen: je mehr Kinder, desto besser. Ein Grund, warum die DDR den Tag abschaffte und stattdessen den Internationalen Frauentag am 8. März feierte.
In der vereinten Bundesrepublik erfreut sich der Muttertag nach wie vor großer Beliebtheit. Nach verschiedenen Umfragen beschenken durchschnittlich mindestens drei von zehn Deutschen ihre Mutter zum Muttertag – vermutlich auch, weil das Wort „Mutter“ für niemanden ein neutraler Begriff und sehr gefühlsbesetzt ist.
Dafür verantwortlich sind eigene Erfahrungen und ungezählte Narrative – wenn auch nicht nur positive. Mütter können nerven („Kind, zieh dir die Regenjacke an“) oder das eigene Kind ehrgeizig antreiben wie die vielzitierte „Eislaufmutti“. Die griechische Mythologie kennt gar „Medea“, die ihre eigenen Söhne tötete, um deren Vater kinderlos zu machen.
Luthers fürsorgliche Mutter
Dennoch sei in Deutschland das Bild von der „guten Mutter“ nach wie vor vorherrschend, erklärt die Dresdner Soziologin Anne-Laure Garcia. Sie verweist auf Forschungen, nach denen der Ursprung des deutschen Mutterideals im Protestantismus Martin Luthers zu verorten sei. Die wichtigste Aufgabe der christlichen Frau lag demnach im Pflegen und Erziehen der Kinder.
„Die physische Mutterschaft, die bisher als Manifestation der Erbsünde galt, wurde dadurch nicht nur aufgewertet, sondern sie wurde vielmehr sogar zu einer Tugend“, so Garcia, die an der TU Dresden zur Mutterschaft forscht. Dieses Bild von der „fürsorglichen Mutter“ dominiere in Deutschland immer noch, wenn auch in säkularisierter Form.