Was Azubis mit Gerechtigkeit verbinden

An der Kampagne „Türen öffnen. Gerechtigkeit leben“ der Diakonie Deutschland nehmen auch Azubis aus Schleswig-Holstein teil. Sie haben sechs Türblätter mit Motiven zum Reformationsjahr gestaltet.

Gerechtigkeit auf der Waagschale (v.l.): Nicole Müller, Nina Jäger, Michel Patrice Vogt und Corinna Dellers zeigen ihren Tür-Entwurf
Gerechtigkeit auf der Waagschale (v.l.): Nicole Müller, Nina Jäger, Michel Patrice Vogt und Corinna Dellers zeigen ihren Tür-EntwurfThorge Rühmann

Rickling. Es ist ein wenig wie im Märchen, in dem sich der Held für eine von drei Türen entscheiden muss, hinter der sich wahlweise ein Ungeheuer oder ein Schatz verbirgt. Nur sind es im modernen Zweckbau der Gesundheits- und Krankenpflegeschule des Landesvereins für Innere Mission gleich sechs Türen – und sie führen schlicht in die Klassenräume der Auszubildenden. Das Besondere sind hier die Türen selbst: Sie sind bunt bemalt und mit fantasievoller Symbolik gestaltet, Teil der Kampagne „Türen öffnen. Gerechtigkeit leben“ der Diakonie Deutschland zum Reformationsjubiläum in diesem Jahr.
Bundesweit haben Freiwillige, Beschäftigte, Klienten und Bewohner diakonischer Einrichtungen zahlreiche Türblätter verändert, um auf kreative Weise deutlich zu machen, was in der Welt unserer Gegenwart gerecht ist und was ungerecht. Die besten Entwürfe werden Anfang März durch eine Jury ausgewählt und ab Mai in einer Art „Türen-Turm“ präsentiert, der rechtzeitig zur Weltausstellung der Reformation auf dem Marktplatz in Wittenberg entstehen und dessen drei Stockwerke hohe Fassade mit insgesamt 60 Türblättern verkleidet werden soll.

Was im Leben eines Menschen zählt

Mit etwas Glück wird auch eine Tür aus der Ricklinger Krankenpflegeschule dort zu sehen sein. Mehr als 60 Schüler aus drei Klassen machten mit und beschäftigten sich einen Tag lang intensiv mit der Frage, was Gerechtigkeit für sie bedeutet. Das Ergebnis zeigt eine Vielfalt an Ideen, Gefühlen und Gedanken zu Gerechtigkeit: Auf einer im Grundton schwarz gehaltenen Tür beispielsweise sind zwei Spiegel befestigt. Einer gibt wie gewohnt den Blick auf den Betrachter wieder, der andere wirft ein stark verzerrtes Bild zurück. Darunter ist eine gemalte Waage zu sehen, in deren Schalen einerseits Symbole für materiellen Wohlstand, andererseits für Glaube, Hoffnung, Gesundheit und Liebe liegen. Zusammen mit einem Bibelzitat nach Luthers Übersetzung wirft die Tür Fragen auf, was auf dieser Welt gerecht verteilt ist – und was zählt im Leben eines Menschen.
Ein Ziel wurde mit dem Projekt bereits erreicht: Schüler und Ausbilder sprechen häufiger als zuvor über Gerechtigkeit, sie sind für das Thema sensibilisiert. „Wir gehen jeden Tag durch diese Türen. Je nachdem, was gerade in der Weltpolitik aktuell ist, geben sie uns neue Impulse, um miteinander zu diskutieren“, schildert Iris Gebh, Leiterin der Gesundheits- und Krankenpflegeschule. Insbesondere das Thema Geschlechtergerechtigkeit sei den Schülern wichtig. „Insgesamt sind Männer im Beruf deutlich unterrepräsentiert“, so Gebh. Auch an der Krankenpflegeschule ist der weitaus überwiegende Teil der Lernenden weiblich. Doch wenn die Schülerinnen von heute in den Pflegeberuf starten, verdienen sie im Durchschnitt rund 280 Euro weniger als ihre männlichen Kollegen – trotz gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation.
Eine andere Schülergruppe setzte die Teilhabe von körperlich und geistig behinderten Menschen kreativ um. Auf dem entsprechenden Türblatt ist ein Fahrstuhl zu sehen, der auch den Menschen mit Handicap, die die normale Treppe nicht nutzen könnten, ein Leben nicht am Rande, sondern mitten in der Gesellschaft ermöglichen soll.

Die Klinke, die sich nicht drücken lässt

An einer weiteren Tür sind zwei Klinken installiert. Auf dem unteren Teil sind in verschiedenen Sprachen Wörter für Ungerechtigkeit zu lesen – als Hinweis darauf, dass sie überall auf der Welt vorkommt. In der Mitte der Tür ist ein Strauch angebracht, dessen rechte Seite grüne Blätter zeigt, die linke aber ist verwelkt. „Die Symbolik ist: Jeder Mensch entscheidet sich, in welche Richtung er seine ,Tür der Gerechtigkeit‘ öffnet“, deutet Iris Gebh. Die Krankenpflegeschüler sind offenbar gewillt, nur in die positive Richtung zu gehen – die andere Klinke lässt sich gar nicht erst drücken.
Auch technisch gesehen ist das Projekt in Rickling interessante. Die Motive entstanden auf schweren Rauchschutztüren, die jedoch nicht geeignet sind, Wind und Wetter auszuhalten. Wenn eine oder mehrere der Kunstwerke sich im Wettbewerb durchsetzen, wird ein Bild des Originals angefertigt, im Anschluss auf eine Klebefolie gedruckt und diese schließlich wetterfest auf einer geeigneten Tür angebracht.
„Die Ergebnisse sind hervorragend, finde ich“, wertet die Leiterin der Schule. „Die Schüler haben viel Enthusiasmus gezeigt. Natürlich hegen sie die Hoffnung, dass ihre Tür auch nach Wittenberg kommt.“ Doch auch wenn es nicht reichen sollte für einen Platz am Wittenberger Türen-Turm – einige der Ricklinger Auszubildende werden trotzdem vor Ort sein, wenn die Weltausstellung startet. Der Grund: Sie haben zugesagt, den Besuchern ehrenamtlich die Besonderheiten des Projekts und der einzelnen Türen zu erläutern.
Im Internet kann jeder bei dem Projekt mitmachen und seine eigene „Tür der Gerechtigkeit“ gestalten. Die Internetseite, die während des gesamten Jubiläumsjahres bis Ende Oktober zugänglich bleibt, bietet einen Türgenerator, mit dem sich Ideen digital umsetzen lassen.