Warum wir Himmelfahrtstag feiern

Zu „Himmelfahrt“ verlässt Jesus die irdische Wirklichkeit.

Christi Himmelfahrt – Zeichnung von Nikolaos Kounelakis (1868), Pastell auf Papier
Christi Himmelfahrt – Zeichnung von Nikolaos Kounelakis (1868), Pastell auf PapierWikimedia/PD

Als ein russischer Dolmetscher vor der friedlichen Revolution den Versuch unternahm und einer Besuchergruppe aus seiner Heimat den Sinn dieses damals nur in Westdeutschland begangenen Feiertages „Himmelfahrt“ erläutern wollte, geriet er ins Stammeln: „Das haben wir auch. Bei uns heißt das Tag der Kosmonauten.“

Die Auskunft ist nicht so lächerlich wie sie scheint. Ist doch die Vorstellung, Christus sei wie eine Rakete durch die Wolken – am Mond vorbei – in Richtung Sterne gefahren, durch die Jahrhunderte hindurch in der Kirche gelehrt ­worden. Und fast alle Himmelfahrtbilder vor unserer Zeit bestätigen diese Vorstellung einer leiblichen Entrückung des Auferstandenen ins Jenseits der irdischen Welt. Dorthin, wo der Aufenthaltsort des Himmelfahrers, der engelhaften Cherubinen, der Heiligen und der mit Seligkeit bestimmten gottesfürchtigen Menschen existiert.

Doppeldeutiger Himmel

Eine Klippe im Verständnis von „Himmelfahrt“ lässt sich überwinden, wenn wir uns bewusst machen, wie doppeldeutig der Begriff „Himmel“ im Deutschen ist. Wir gebrauchen ihn einerseits, wenn wir die Erdatmosphäre, den blauen oder verregneten Himmel über uns meinen. Und andererseits nennen wir „Himmel“ den Ort, wo Gottes Reich und Gottes Recht herrscht. So ­sehnen sich Menschen nach „himmlischen Zuständen“, nach dem „Himmel auf Erden“.

Mit „Himmelfahrt“ meint die ­Bibel, dass Jesus in der Tat zu Gott zurückkehrt. Zu „Himmelfahrt“ verlässt er die irdische Wirklichkeit, also die Wirklichkeit, der ich selber angehöre, die mir begreifbar und zugänglich ist. Meist wird als Ortsbeschreibung das Wort „Jenseits“ verwendet. Das ist nicht falsch, solange es nicht nach menschlichem Maß als „Verortung“ verstanden und gebraucht wird. In der „Himmelfahrt“ kehrt Jesus zurück in die dem irdischen und endlichen Menschen unzugängliche Wirklichkeit des ewigen Gottes.

Alle Macht gegeben

Und das „Himmelfahrtswort“ des Christus Gottes an seine Jünger beginnt so: „Mir ist (von Gott) alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden“ (Matthäus 28,18). Dieses ­Allmachtswort scheint den Graben zwischen Jesus Christus und den zurückgelassenen Menschen unendlich zu vergrößern. Zumal doch auch durch die Kirchengeschichte hindurch – bis hin zu den sexuellen Missbräuchen – so oft die Sehnsucht nach ihm und seinem Einschreiten unerfüllt blieb und bleibt.

Wie lässt sich dieser Graben überschreiten? Meines Erachtens so, dass wir den allmächtigen Christus nicht glauben, ohne uns zugleich den irdischen Lebensweg des Jesus von Nazareth immer wieder ins Gedächtnis rufen. Dadurch ist recht gut zu verstehen, warum die Menschlichkeit des Gekreuzigten und Auferstandenen seine „Allmacht“ bestimmt: Im Horizont des konkreten Lebens Jesu erinnern wir uns an seine Verkündigung der Barmherzigkeit Gottes. Er war und ist ja selber die Barmherzigkeit ­Gottes in Person.

Wann endlich wird das geschehen?

Wir vergegenwärtigen uns seine Solidarität mit den Armen und ­Niedergedrückten. Sein Befehl zur Gewaltlosigkeit und die anderen Gebote der Bergpredigt sind ohne Abstrich zu hören und zu befolgen. Auch mögen wir uns erinnern an seine Wunder, in der sich unsere künftige Erlösung abzeichnet. Denn wenn im Ereignis unseres Todes die neue Welt erscheint, werden wir seine „Allmacht“ ungebrochen ­sehen. Wir werden dann verstehen, warum allezeit die „Allmacht“ Jesu Christi auf Erden und in unserer Zeit im Zeichen des Kreuzes, aber so oft auch im Zeichen seiner Auferstehung stand. Wann endlich wird das geschehen?

Zu Himmelfahrt feiern Christinnen und Christen sein Versprechen: „Ich bin bei euch!“ Dies ist ein Versprechen, in welchem der jüdische Gottesname JAHWE aufgenommen ist. Der Jude Martin Buber hat immer wieder darauf hingewiesen, dass der Gottesname JAHWE nicht einen Zustandsbeschreibung („Ich bin, der ich bin“) beinhaltet, sondern eine Verheißung, ein Versprechen: „Ich bin doch da! Ich bin doch bei euch.“ In diesem Sinne wird der Gottesname von Jesus für sich ­selber aufgenommen. Er beinhaltet eine höchst elementare Selbstidentifikation. Ohne sie vermag ich seitdem nicht an Gott zu glauben.

Überall und zu aller Zeit

Aber gerade darum glaube ich es: Der Auferstandene ist uns überall und zu aller Zeit gegenwärtig -, auch dann, wenn ich sterbe und diese Welt verlassen muss. Dann wird er in seiner Gegenwart nahe sein – eben nicht in irdischer, sondern in himmlischer Weise – verborgen und doch vertraut, unsichtbar, unfassbar und doch gewiss, ganz gewiss. „Der kommt in den Himmel“, ­sagen die Kinder über einen ­Sterbenden. Und ich habe auch als Erwachsener Mut zu diesem Ausdruck. Denn der Himmel ist als Gottes Wirklichkeit nicht nur Verheißung für eine Existenz jenseits über den Tod hinaus, sondern Verheißung schon jetzt für diese Erde: Himmel und Erde berühren sich in der Himmelfahrt

Rolf Wischnath ist Theologe und lebt in Gütersloh und Berlin.