Warum viele Menschen so gerne Rätsel lösen

Sudoku, Wissensquizze oder Kreuzworträtsel: Deutschland gilt als Land der Knoblerinnen und Knobler. Rätselmacher Stefan Heine betont, dass es dabei um mehr geht als um kurzweiligen Zeitvertreib.

Sudoku, Wissensquizze oder Kreuzworträtsel: Deutschland gilt als Land der Knoblerinnen und Knobler. Rätselmacher Stefan Heine betont, dass es dabei um mehr geht als um kurzweiligen Zeitvertreib.

Es ist eine eindrucksvolle Szene in dem zauberhaften Roman „Luka und das Lebensfeuer“, als sich Titelheld Luka und ein alter Torwächter gegenseitig mit Rätseln befeuern. Wer die Lösung findet, darf weiterziehen – wer nicht, zahlt einen hohen Preis: Diese Konstellation, die der Autor und künftige Friedenspreisträger Salman Rushdie in der Abenteuergeschichte aufgreift, wurzelt in der Antike. „Rätsel sind etwa so alt wie der Mensch selbst“, schreibt Stefan Heine in seinem Buch „Ich rätsle, also bin ich“.

Heine muss es wissen: Er ist einer der bekanntesten Rätselmacher in Deutschland – einem Land, in dem Denksport als besonders beliebt gilt. Zehn Millionen Menschen hierzulande lösen in ihrer Freizeit laut Umfragen häufig Rätsel. Damit liegt das Rätseln auf Platz fünf der beliebtesten Hobbys – vor Wandern und Joggen, vor Computerspielen und Basteln. Im Gegensatz zu verbreiteten Vorstellungen sei es, so Heine, nicht nur ein Alte-Leute-Trend: Ein Drittel der jungen Erwachsenen löse mindestens einmal monatlich Rätsel.

Ob sich die Hirnleistung auf diese Art steigern lässt, sorgt immer wieder für Diskussionen. Heine verweist auf Studien, denen zufolge Kreuzworträtsel sogar eine Rückbildung von bereits ausgebrochenen Alzheimer-Erkrankungen bewirkt hätten. Förderlich sei offenbar die Kombination aus dem Abrufen von Wissen, dem Grübeln, welches Wort passen könnte, und dem logischen Nachdenken.

Gehirn-Jogging sei häufig belächelt worden, so der Rätselmacher. „Das Nachdenken über logische Rätsel oder auch Wortspiele lässt sich jedoch auf andere Bereiche übertragen: zum Beispiel die Fähigkeit, eine Aufgabe aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Das hat viel mit Kreativität zu tun.“ Auch gegen Stress, unter dem eine zunehmende Zahl von Menschen leidet, könne Rätseln etwas ausrichten. Einerseits aus einem praktischen Grund: Wer über das passende Wort sinniere oder Formen ineinander schiebe, denke in diesem Moment nicht an Alltagssorgen.

Für das Nichtstun sei der Mensch nicht gemacht, schreibt Heine – wenig falle so schwer wie einige Minuten tatenlos dazusitzen. „Rätsel helfen uns, Zeit totzuschlagen.“ Und wer sich darin vertiefe, könne sogar in einen Flow kommen. In einer Tätigkeit ganz aufzugehen, vertieft und zugleich konzentriert zu sein – so beschreibt die positive Psychologe das, was Menschen mit dem Satz meinen: „Ich war richtig im Flow.“

Als erster hat der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi dieses Phänomen erforscht, die „optimale Erfahrung“. Diese Momente, betonte der 2021 gestorbene Experte, ereigneten sich, „wenn Körper und Seele eines Menschen bis an die Grenzen angespannt sind, in dem freiwilligen Bemühen, etwas Schwieriges und etwas Wertvolles zu erreichen“. Heine nennt es den Grad zwischen Unter- und Überforderung: „Also eine Aufgabe zu haben, die uns nicht langweilt, aber auch nicht frustriert.“ Das mache Rätsel zum perfekten Abendritual, „das uns langsam runterfährt“.

Und der Autor geht noch einen Schritt weiter: Rätsel könnten auch den Blick auf den Alltag verändern – und damit das praktische Leben. „So ziemlich jedes Alltagsproblem ließe sich viel leichter lösen, wenn wir es stattdessen zum Beispiel als Puzzle betrachten“, schreibt er. Das Wort „Problem“ klinge schon bleischwer – das Wort „Puzzle“ dagegen spielerisch und leicht. Zudem seien Menschen bei Puzzles, Quizzen und Spielen oft geduldiger als im Alltag.

Ein weiterer Pluspunkt ist aus Sicht Heines die Gemeinschaft. Quiz-Abende in Kneipen boomen ebenso wie Escape-Rooms; wer es ruhiger mag, zieht vielleicht Scrabble- oder Kniffel-Abende im Familien- und Freundeskreis vor. Gemeinsam zu raten und zu rätseln, mache Spaß und bringe Menschen zusammen, betont der Experte.

Vielleicht kann deshalb auch die Digitalisierung dieser Beschäftigung nichts anhaben – in der Corona-Zeit stiegen die Umsätze an Rätselheften und -büchern. Auch jenseits davon böten Apps und digitale Rätselseiten neue Möglichkeiten, sagt Heine. Das Hobby begleite viele Menschen von Kindertagen an – und dann ein Leben lang.