Warum Menschen so gern am Feuer zusammenkommen

Nicht nur am Martinstag versammeln sich Jung und Alt gerne ums Feuer. Spätestens seit der Corona-Pandemie treffen sich Menschen wieder vermehrt draußen am wärmenden Rund.

Der Blick in die Flammen ist für das menschliche Gehirn eine Art Leerlauf
Der Blick in die Flammen ist für das menschliche Gehirn eine Art LeerlaufImago / Dominik Kindermann

Es knistert, spendet wohlige Wärme und sieht jeden Moment anders aus – viele Menschen genießen es, am offenen Feuer beinander zu stehen und den tanzenden Flammen zuzusehen. Manch einen erinnert es an die Gemeinschaft beim Martinsfest mit bunten Laternen oder Lagerfeuer zu Gitarrenklängen bei Jugendfreizeiten. Wenn es nun wieder kühler und abends schneller dunkel wird, beginnt wieder die Zeit, in der Menschen im Feuerschein zusammenfinden.

An fehlender Ausstattung sollte es nicht liegen. Feuerschalen und -körbe sowie Schwedenfeuer liegen im Trend, wie ein Blick auf das zunehmende Angebot bei Baumärkten und Gartencentern zeigt. Gerade in hektischen Zeiten scheint es eine große Sehnsucht nach diesem Ur-Element zu geben, schließlich entsteht um ein Feuer schnell und ganz nebenbei ein Gemeinschaftsgefühl.

Sinnbild für Entschleunigung und Gemeinschaft

Einst hätten sich die Menschen zum Schutz vor Dunkelheit und wilden Tieren am Feuer zusammengefunden, erklärt Volkskundler Thomas Leßmann vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte. Sie wärmten sich dort, kochten, aßen, tauschten sich aus. Heute, in mobilen und digitalen Zeiten, sei das Feuer eine Art Gegenpol, „es weckt etwas Archaisches in uns“. (Das traditionelle Martinsfeuer, das vielerorts um den Martinstag am 11. November entzündet wird, bringe Licht in die Dunkelheit – „so wie der heilige Martin durch das Teilen seines Mantels Licht in die Welt gebracht hat“.)

Das traditionelle Martinsfeuer wird wieder vielerorts am 11. November entzündet
Das traditionelle Martinsfeuer wird wieder vielerorts am 11. November entzündetImago / Wassilis Aswestopoulos

Auch im digitalen Zeitalter kann sich kaum jemand dem analogen Zauber eines Feuers entziehen. Die lodernden Flammen zu beobachten und dem Knistern des Holzes zuzuhören scheint noch immer etwas Faszinierendes, ja Magisches zu haben. Ein Gefühl von Geborgenheit macht sich breit, man fühlt sich sicher und beschützt. Am Feuer wird geredet – und geschwiegen. Gedankenverloren wandert der Blick in die sich ständig verändernden Feuerzungen und die flackernde Glut – ein Sinnbild für Entschleunigung.

Naturcoach Andre Lorino verweist auf Erkenntnisse von Neurowissenschaftlern. Demnach führt der Blick in die Flammen zu einer Art Leerlauf im Gehirn. Dabei wird das sogenannte Default Mode Network – ein Ruhestandsnetzwerk – im menschlichen Nervensystem aktiviert. Eine ähnliche Wirkung habe das absichtslose Betrachten von Sternen, Tagträumen oder auch das „Löcher in die Luft starren“.

Feuer führte zu Geschichten, Sagen und Legenden

Der Blick ins Feuer im Dunkel der Nacht sei den Menschen schon immer ein Trost gewesen, denn Dunkelheit bedeute auch Gefahr, und Feuer biete einen sicheren Raum. Noch vor 200 Jahren – und insgesamt rund eine Million Jahre zuvor – seien Menschen weltweit auf das Feuer als Licht-und Wärme-Lieferant angewiesen gewesen. Deshalb nehme das Feuer einen festen Platz im Leben der Menschen ein, der auch im digitalen Zeitalter nicht so schnell weichen werde.

Seit einiger Zeit beobachtet der Naturcoach aus dem baden-württembergischen Wolfach zwei Phänomene: auf der einen Seite eine große Sehnsucht nach ursprünglicher, lebendiger Erfahrung – „und dafür ist das gute alte Lagerfeuer wie geschaffen“. Auf der anderen Seite bemerkt er aber auch „eine erstaunliche Naturentfremdung, die bei manchen Leuten eher eine Furcht oder Vorsicht vor allem Natürlichen – und damit oft Unkontrollierbarem – verstärkt“. Einige müssten erst langsam wieder an das offene Feuer gewöhnt werden, damit sie wieder Freude und Sicherheit an diesem Ur-Element empfinden könnten.

Umgang mit Feuer macht Menschen ein bisschen demütig

Wenn er seine Teilnehmer bitte, selbst ein Feuer mit Feuerstein und Schlageisen zu entfachen, spürten sie, wie viel Energie und Sorgfalt sie dafür aufwenden müssen. „Sie entdecken aber dabei auch, dass der entfachende Funke aus ihnen selbst entspringt und dass Feuermachen somit eigentlich ein kleiner wundervoller Schöpfungsakt ist, der eine Gemeinschaft beleben und versammeln kann.“ Diese Erfahrungen seien zwar anachronistisch, aber sie stehen für Lorino für „gelebtes Menschsein – authentisch und mit allen Sinnen am Leben teilnehmend. Die Moderne schuldet uns da noch einen gleichwertigen Ersatz.“