Warum die Vorfreude auf die Fußball-EM eher verhalten ist

Nächsten Freitag (14. Juni) startet die Fußball-Europameisterschaft der Männer mit dem Eröffnungsspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Schottland in München. Die Stimmung unter den deutschen Fußball-Fans ist zwar besser als noch vor ein paar Monaten, sagt der Würzburger Fan-Forscher Harald Lange. Doch für den Sportwissenschaftler ist nach den Umfragen seines Instituts für Fankultur auch klar: Die Zustimmungswerte der Fans zur Heim-EM im Allgemeinen und der deutschen Nationalmannschaft im Besonderen sind vergleichsweise niedrig. Das liege vor allem auch an den Verbandsfunktionären.

epd: Herr Lange, bei den letzten Fußball-Großereignissen ist der Funke nicht so richtig auf das deutsche Publikum übergesprungen. Woran lag das?

Lange: Also, wenn wir als letztes Großereignis die Fußball-WM in Katar nehmen, kann man es noch schärfer formulieren: Da hat ein regelrechter Fußball Boykott stattgefunden! Die leidgeprüften deutschen Fans hätten nach dem Vorrunden-Aus bei der WM in Russland 2018 durchaus Lust auf Fußball gehabt – deswegen muss man es ihnen hoch anrechnen, dass viele die WM in Katar etwa aus ethisch-menschenrechtlichen Gründen quasi ignoriert haben. Wir hatten als Forscher in Umfragen vorab ermittelt, dass sich die Einschaltquoten der Live-Übertragungen halbieren werden. Und genau so ist es ja dann auch gekommen…

epd: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hatte in den vergangenen Jahren etwas den Draht zur Fan-Basis verloren, hatte man den Eindruck. Nun scheint es besser zu sein – wie kommt das?

Lange: Unser Institut für Fankultur hat in den vergangenen Monaten immer wieder Umfragen zur Vorfreude auf die EM, zur Stimmungslage und zur Bewertung der Nationalmannschaft durchgeführt. Alle Werte waren bis Ende März dieses Jahres absolut im Keller – jetzt langsam hellt sich das Stimmungsbild etwas auf. Für eine Heim-EM der Männer-Fußballnationalmannschaft sind die aktuellen Werte aber immer noch erschreckend niedrig. Dass sie überhaupt besser wurden, liegt wohl an den erfolgreichen Testspielen gegen Frankreich und die Niederlande unter dem neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann. Aber: Sollte das Eröffnungsspiel gegen Schottland in die Hose gehen, dann ist es mit der besseren Stimmung schnell wieder vorbei!

epd: Ist die jüngste Entscheidung des Deutschen Fußball-Bundes, auf Wunsch der Fans das Lied „Major Tom“ als offizielle Torhymne zu übernehmen, ein Zeichen für diese neue Annäherung?

Lange: Wenn man Symbolpolitik gut findet, dann vielleicht. Ich finde, der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wäre gut beraten, solche Themen kurz vor einer Europameisterschaft gar nicht so groß auf die Tagesordnung zu bringen oder groß werden zu lassen – denn für die aktuelle EM spielt diese Entscheidung ja gar keine Rolle. Für Turniere legen nämlich die Dachverbände fest, welche Musik zum Torjubel abgespielt wird.

epd: Bei den letzten Turnieren standen der europäische und der Welt-Fußball-Verband in der Kritik wegen der Vergabeverfahren von Großereignissen. Ist es bei dieser EM besser gelaufen?

Lange: Man weiß es nicht, aber ich befürchte nicht, dass UEFA oder FIFA irgendetwas ändern wollen oder gar geändert haben. Was wir aktuell erleben, ist ein erneut völlig unsägliches Vergabeverfahren für die WM 2034, die wohl nach Saudi-Arabien gehen wird. Für jeden halbwegs informierten Fußball-Fan ist diese bereits so gut wie ausgemachte Vergabe ein eindrückliches Beispiel, dass sich Nullkommanichts geändert hat seit der WM-Vergabe an Katar. Es geht ums Geld, um Macht, um Einfluss, nicht um den Sport. Und dass auch Funktionäre des DFB in diesen Situationen immer wieder fragwürdige Vergabeentscheidungen mit treffen, wie eben schon in der Vergangenheit, sorgt dann eben weiter für die unterirdischen Imagewerte des Verbandes.

epd: Ganz grundsätzlich: Sind Sport-Großereignisse wie Fußball-Europameisterschaften und Olympische Spiele mit riesigen Investitionen in Infrastruktur und auf Kosten der Allgemeinheit noch zeitgemäß?

Lange: Nein, auf gar keinen Fall. Vor allem nicht, wenn man dann auch noch über alle möglichen Kanäle ein durchsichtiges Greenwashing betreibt. Angeblich war die WM 2022 in Katar klimaneutral – trotz klimatisierter Stadien in der Wüste. Oder die EM 2021, die kreuz und quer in Europa stattgefunden hat, und die jetzt in der WM 2030 einen unrühmlichen Nachfolger finden wird, mit Austragungsorten auf drei Kontinenten! Man muss sich ehrlich machen: Großveranstaltungen können nie klimaneutral sein, das ist Unterhaltung, das kostet eben Ressourcen. Aber man kann diesen Ressourceneinsatz auch begrenzen, es geschieht aber das Gegenteil.

epd: Wäre es dann eine Alternative, es einfach sein zu lassen? Das wäre ja vermutlich auch nicht im Sinne der Sport-Fans, oder?

Lange: Nein, das nicht, aber man darf die Leute nicht für dumm verkaufen. Und manchmal ginge es ja auch eine Nummer kleiner. Dieser Hang zum Gigantismus muss aufhören. Dieser Drang, für jede Veranstaltung am besten noch größere, neue Stadien zu bauen, muss ein Ende haben. Da werden einfach Ressourcen vergeudet, die anderswo sinnvoller eingebracht werden könnten. Der Klimaschutz ist da nur ein Aspekt. Es geht auch um die Förderung des Breitensports, es geht um bezahlbare Ticketpreise, um die Nachnutzung von Sportstätten. Solche Nachhaltigkeitskriterien interessieren in den Dachverbänden aber nur die allerwenigsten.

epd: Welche Rolle spielt ein großes Turnier im eigenen Land für die Bindung der Fans an „ihre“ Mannschaft? Und was bedeutet das umgekehrt für die „Erdung“ der Profi-Spieler?

Lange: Natürlich ist es etwas ganz Besonderes, wenn man als Spieler die Gelegenheit hat, ein großes Turnier im eigenen Land zu spielen. Das haben wir sehr eindrücklich bei der WM 2006 bemerkt, und da sind richtige Helden im Sport geboren worden wie Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Lukas Podolski. Deshalb eilt der EM ab kommenden Freitag auch so eine große Erwartungshaltung voraus, die jedoch überhaupt nicht erfüllt werden. Denn: Die Stimmung ist, wie schon erläutert, für eine Heim-EM noch sehr verhalten. Und das liegt vor allem auch am riesengroßen Glaubwürdigkeitsproblem, das die Funktionärsebene verursacht. Oder auch daran, dass man die Nationalmannschaft zuletzt vor allem als Marke gesehen und verkauft hat.

epd: Welche Bedeutung wird die EM über die Fußball-Szene hinaus haben? Mit Blick auf die Wirtschaft, aber gerade auch gesamtgesellschaftlich betrachtet?

Lange: Philipp Lahm propagiert als EM-Botschafter ja seit rund einem Jahr die gesamtgesellschaftliche Komponente – ich halte das aber für eine sehr naive Wunschvorstellung und Idee. Natürlich kann eine gute Turnierleistung der deutschen Nationalmannschaft für die Dauer der EM mal die Schlagzeilen mitbestimmen. Aber die gesellschaftliche Spaltung, die wir an verschiedenen Stellen erleben, die kann doch der Fußball nicht kitten. Und schon gar nicht, wenn die großen Verbände ihre propagierten Werte selbst permanent mit Füßen treten. Wer nimmt FIFA und UEFA ihr Engagement für eine friedliche Welt denn ab, wenn noch während des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die russischen Jugendmannschaften wieder zu Turnieren dürfen? Das ist unglaubwürdig – und selbst die allergrößten Fußball-Fans schauen da nicht mehr drüber hinweg.

epd: Zuletzt stand Borussia Dortmund wegen seines neuen Sponsors Rheinmetall in der Kritik. Auch bei dieser EM wird es wieder Kritik an einzelnen Sponsor-Verträgen geben. Zurecht?

Lange: Bei der Auswahl von Sponsoren geht es genau um drei Dinge. Erstens ums Geld, zweitens ums Geld, und drittens noch mal ums Geld. Das ist auch völlig legitim, denn die Vereine brauchen für ihren Profibetrieb Geld – und die Sponsoren brauchen Image. Problematisch ist, wenn dann versucht wird, Sponsorenverträge wie der von Dortmund mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall nach aufflammender Kritik am besten noch moralisch zu begründen – etwa, man wolle eine Debatte um Verteidigung oder Waffen mit anstoßen. Das ist Käse. Es geht ums Geld, das ist ein Geschäft, vielleicht ein moralisch Anstößiges, aber ein rechtlich Sauberes, Punkt. Noch schlimmer finde ich die Situation beim neuen Sponsor des DFB-Pokals: ein Sportwetten-Anbieter. Wenn der Verband diesen Deal dann damit rechtfertigt, dass der Sponsor den DFB bei seinen Bemühungen im verantwortungsvollen Umgang mit Wetten und Spielsucht unterstützen will, ist das doch blanker Hohn!
(00/1719/11.06.2024)