Warum der Wald für Günter Grass so faszinierend war

Wie sollen denn die Märchen überleben, wenn der Wald nicht mehr existiert? Das Waldsterben war für Günter Grass vor allem ein Verlust für die Kultur. Der Wald ist Thema einer Ausstellung im Lübecker Grass-Haus.

Günter Grass im Oktober 2002 in Lübeck
Günter Grass im Oktober 2002 in LübeckDirk Silz / epd

Lübeck. Der Wald war für Günter Grass nicht nur heimatlicher Erholungsraum, sondern auch ein Ort, der den Verlust von Natur und Kultur spürbar macht. Die neue Ausstellung „Into the Trees“ im Lübecker Günter-Grass-Haus widmet sich dieser Ambivalenz. Mit dem aktuellen Thema wolle die Ausstellung ausgetretene Pfade verlassen, sagte Museumsleiter Jörg-Philipp Thomsa bei der Präsentation. Bis zum 31. Dezember sind Aquarelle, Zeichnungen, Plastiken sowie Romanauszüge und Gedichte zum Thema Wald zu sehen.

Empfangen werden die Besucher mit Vogelgezwitscher. Der wie ein stilisierter Wald gestaltete Ausstellungsraum präsentiert beim Betreten die wohltuende Seite des Waldes. Zahlreiche Aquarelle zeigen idyllische Buchenwälder. Für Grass hätten Bäume mehr Individualität gezeigt als Menschen, sagte Kuratorin Tatjana Dübbel. Für ihn sei der Wald immer auch Rückzugsort gewesen. Sein Haus in Behlendorf bei Lübeck lag direkt am Wald.

Grafiken zum Weltuntergang

Wer die „Lichtung“ der Ausstellung mit ihrer Film- und Hörstation erreicht hat, dem bietet sich in der Rückschau ein ganz anderes Bild: Lithographien zeigen zerstörte Wälder. Grafiken aus seinem Roman „Die Rättin“ thematisieren die menschengemachte Umweltzerstörung und den drohenden Weltuntergang.

Pixabay

Für Grass bedeutete das Waldsterben der 1980er-Jahre nicht nur Verlust der Natur. Es war für ihn vor allem ein Verlust von Kultur, insbesondere der Märchenwelt. „Weil der Wald an den Menschen stirbt, fliehen die Märchen, weiß die Spindel nicht, wen sie stechen soll“, heißt es in einem Gedicht an der Wand. „Nichts gehört mehr König Drosselbart.“

Anfang der 1980er-Jahre hatte Grass die Idee für einen kritischen Stummfilm zum Wald. Die Ausstellung zeigt Dokumente und Videos mit Volker Schlöndorff zu dem Projekt. Doch weil es für die geplante Zerstörung von Autobahnen und Brücken durch erweckte Bäume noch keine Computeranimation gab, musste das Projekt aus finanziellen Gründen begraben werden.

Eigenes Kinderzimmer

Ähnlich wie heute war das Waldsterben in den 1980er-Jahren schon einmal aktuelles Thema. Ursache war damals vor allem der „saure Regen“. Eine Filmcollage mit Nachrichten zur Kohl-Wahl und zur Tschernobyl-Katastrophe, mit Popmusik, Grass-Interviews und Gedichten lassen die 80er-Jahre noch einmal Revue passieren.

Mit einem eigenen Kinderzimmer möchte das Grass-Haus auch Familien für einen Besuch gewinnen. Kinder können sich den Grüffelo-Film ansehen und die Grüffelo-Tapete bunt ausmalen. Angeboten wird auch eine Lesung im Wald. Unter dem Hashtag #gghintothetrees können Interessierte Eindrücke und Erlebnisse zum Wald einsenden. Ausgewählte Beiträge werden dann im Grass-Haus ausgestellt. (epd)